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Neues zur Streupflicht - 11/2008

Zur Frage der Streupflicht sind in jüngster Zeit zwei interessante oberstgerichtliche Entscheidungen ergangen. Die eine betrifft die Frage, ob nur auf Gehsteigen oder auch auf Privatgrund gestreut werden müsse. Die andere befasst sich mit der Thematik „Fußgängerübergang als Brücke“.

1. Räumung und Streupflicht auf eigenem Grund
Eine Glatteiswarnung mag für viele Liegenschaftseigentümer Anlass sein, kurz zu prüfen: Habe ich dafür gesorgt, dass der Gehsteig vor meinem Haus von 6-22 Uhr bestreut ist, wie es die Straßenverkehrsordnung im Ortsgebiet bei Glätte vorschreibt? Zu Recht, denn diese Pflicht kann nicht nur zu ganz offenkundigen, sondern auch zu ziemlich überraschenden Haftungssituationen führen.

So geschehen in Vorarlberg, wo eine Passantin sich bei einem Sturz auf einem vereisten Kanaldeckel das linke obere Sprunggelenk brach. Die erste Besonderheit des Unfalls auf dem Gehsteig lag darin, dass er nicht vor dem Grundstück des Anrainers passiert, sondern direkt darauf. Denn der Gehsteig stand, anders als sonst üblich, nicht im Eigentum der Gemeinde, sondern in Privateigentum. Wie der Oberste Gerichtshof klarstellt, gilt die Streupflicht auch in diesem Fall (2 Ob 156/05p).

Filialleiterin in der Pflicht
Besonderheit Nummer zwei: die Person, die von der Pflicht zur Schadenersatzleistung konkret betroffen ist – nämlich die frühere Leiterin der Filiale einer Drogeriekette, die die Liegenschaft gemietet hatte. Und das kam so: Die Liegenschaftseigentümerin hatte den Mietern vertraglich die Räumpflicht für die Geschäftszeiten überbunden, was nach dem Gesetz ohne weiteres zulässig ist. Mit einer Klage gegen das Unternehmen scheiterte die Geschädigte aber, weil dieses nur für „untüchtige“ oder wissentlich eingesetzte „gefährliche“ Gehilfen einzustehen hätte (§ 1315 ABGB). Und davon war hier keine Spurt (und auch nicht von den schärferen Gehilfenhaftung nach § 1313a, die zur Voraussetzung gehabt hätte, dass die Passantin im Geschäft einkaufen wollte, was nicht der Fall war).

Also klagte die Frau im zweiten Anlauf unter anderem die Filialleiterin. Anknüpfungspunkt: Das Unternehmen hatte seinerseits per Arbeitsvertrag die Filialleiterin verpflichtet, für Streuung und Räumung vor dem Geschäft zu sorgen. Gestreut oder geräumt war aber zum Zeitpunkt des Unfalls nicht. Der OGH bejahte die Haftung der Filialleiterin, freilich nur solidarisch mit der Stadtgemeinde: Denn die hatte es stillschweigend übernommen, vor dem Geschäftslokal zu räumen und zu streuen. Vermutlich wird die Filialleiterin, die sich die Teilung der Schuld im Innenverhältnis mit der Stadt noch ausmachen muss (im Zweifel: halbe-halbe), bei ihrem früheren Arbeitgeber Regress nehmen können und damit nicht auf der Ersatzpflicht sitzen bleiben.

2. Auch eine Stiege ist eine Straße
Gilt für eine längere Stiege im Ortsgebiet, die zwei normale Straßen miteinander verbindet, die Pflicht des Anrainers, vor seinem Grund tagsüber Schnee zu räumen und bei Glätte zu streuen? Das Ergebnis vorweg: Sofern die Stiege regelmäßig benützt wird und für den öffentlichen Verkehr – und sei es nur jener von Fußgängern – offen steht, besteht diese Bürgerpflicht. Und zwar deshalb, weil die Stiege unter diesen Umständen eine Straße ist.

Der Fall, der bis zum Obersten Gerichtshof vorgedrungen ist, hatte sich in Krems zugetragen, wo es etliche Stiegen und Steige dieser Art gibt. Ort der Handlung war die, teilweise ziemlich steile und stellenweise nur einen Meter bereite – Wachtbergstiege. Sie führt von der Alauntalstraße hinauf zur Wachtbergstraße.

Dort stürzte eine Anrainerin vor zwei Jahren, als trotz Glätte nicht gestreut war – und zwar nicht vor ihrem eigenen Grundstück, sondern weiter unten. Dabei brach sie sich den rechten Knöchel und die rechte Hand. Ihre Klage gegen den Eigentümer des Hauses bei der Unfallstelle wurde vom Landesgericht Krems abgewiesen. Begründung: Die Wachtbergstiege liege weder im Zuge eines Gehwegs oder Gehsteigs noch sei sie als Gehweg gekennzeichnet. Wäre das der Fall gewesen, hätte die Streupflicht des Anrainers eindeutig bestanden: Sie gilt ja tagsüber im Ortsgebiet auf Gehsteigen und Gehwegen einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen, die dem öffentlichen Verkehr dienen und in einer Entfernung von nicht mehr als drei Metern der Liegenschaft entlangführen.

Eine rechtwinklig vom Gehsteig abzweigende Stiege wie die Wachtbergstiege befindet sich aber evidentermaßen nicht „im Zuge des Gehsteigs“. Trotzdem hielt das Oberlandesgericht Wien in zweiter Instanz die Haftung de Anrainers für Schmerzengeld & Co. Für möglich: In Ermangelung eines Gehsteigs oder Gehwegs ist nämlich der Straßenrand in einer Breite von einem Meter zu säubern und zu bestreuen. Und nach der Straßenverkehrsordnung ist eine Straße einfach eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche. Also auch eine Stiege. Bloß die Frage, ob die Wachtbergstiege regelmäßig benützt werde und dem öffentlichen Verkehr offen stehe, müsse laut OLG Wien noch untersucht werden.

Für de Obersten Gerichtshof ist es „vertretbar, den für Fußgänger benutzbaren Verbindungsweg als –eigene- Straße zu qualifizieren“ (2 Ob 194/07d). Für die strittige Anrainerpflicht ist es demnach auch irrelevant, dass die Wachtbergstiege ein gepflasterter, nicht asphaltierter, steiler und aus unterschiedlich hohen Stufen bestehender Steig ist.

3. Ortsgebiet: Gehsteig von 6 bis 22 Uhr säubern, bestreuen
Grundeigentümer müssen im Winter tagsüber für einen sicheren Weg vor ihrem Grund sorgen.

Es gilt als eine normale Bürgerpflicht und nicht als verbotene Zwangsarbeit, dass Liegenschaftseigentümer im Winter zur Schneeräumung verpflichtet sind. Wer ein Grundstück im Ortsgebiet besitzt, muss dafür sorgen, dass der Gehsteig davor in der Zeit von 6 bis 22 Uhr „von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut“ ist, heißt es in § 93 der Straßenverkehrsordnung.

Wer diese Pflicht verletzt, macht sich nicht nur einer Verwaltungsübertretung schuldig (Geldstrafe bis 72 Euro), sondern – viel gravierender – für Verletzungen durch Stürze haftbar. Allerdings kann die Pflicht vertraglich etwa an Schneeräumfirmen übertragen werden, was bei Wohnungseigentumsanlagen und Miethäusern gang und gäbe ist.

Zur Haftung kann auch die Verpflichtung führen, Schneewächten und Eisbildungen vom Dach zu entfernen. Warntafeln „Achtung Dachlawine“ aufzustellen, mag die gebotene Sorgfalt zwar zusätzlich gebieten; das kann aber keinesfalls von dieser Pflicht entbinden.

Rechtsanwälte
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