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Schiunfälle und Schadenersatz - Genügen die FIS-Regeln? - 11/2005

Die so genannten FIS-Regeln für das Verhalten auf der Schipiste sind allgemein bekannt. Jedenfalls wird im Streitfall davon ausgegangen, dass die Betroffenen sie kennen mussten. Sie reichen aber nicht aus, um alle Arten von Schiunfällen zu beurteilen.

Die FIS-Regeln sind allgemein bekannt (der Vollständigkeit halber führen wir sie am Schluss nochmals an). Es ist aber eine Illusion zu glauben, dass sie in allen Fällen ausreichen, um zu beurteilen, wer an einer Kollision schuldig ist. Wir haben uns mit der Praxis der Gerichte befasst. Daraus ergeben sich einige weitere Richtlinien für das Verhalten auf der Piste.

Nach der FIS-Regel muss der von hinten kommende Schifahrer (Snowboarder) seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm Fahrende nicht gefährdet. Nach der Regel 4 darf überholt werden, aber immer nur in einem Abstand, dass der Vorausfahrende für alle seine Bewegungen genügend Raum hat. Dies ist die wichtigste Verhaltensregel beim Alpinsport. Das Recht des vorderen langsameren Schifahrers auf freie Fahrt gegenüber dem nachkommenden Schnelleren ist leicht einsichtig und vernünftig. Aber es ist, wenn es zu einem Unfall kommt, eben nicht immer leicht festzustellen, wer war nun der Vorausfahrende und wer kam von hinten. So ist schon öfters die Meinung aufgetaucht, dass derjenige, der beim Kollisionszeitpunkt vorne ist, auch der Vorausfahrende gewesen sei. Es hat sich dann aber manchmal herausgestellt, dass bei schneidender Vorausfahrt durchaus der schnellere von hinten Kommende nach dem Zusammenstoß weiter unten liegen kann. In Österreich ist es üblich, dass die Gerichte unter Beiziehung eines Sachverständigen einen Augenschein durchführen und den Bewegungsablauf zumindest in Bezug auf die letzten 30 m vor dem Zusammenstoß zu klären versuchen. Wenn sich dann – etwa durch Zeugen – noch eruieren lässt, wer in den letzten Sekunden vor dem Zusammenstoß der Schnellere war, lässt sich in der Regel leicht ausmachen, wer der Schuldige gewesen ist.

Es gibt aber immer wieder Unfälle, bei welchen beobachtet wurde, dass zwei Schifahrer eine gewisse Zeit lang nebeneinander ungefähr auf gleicher Höhe gefahren sind. Die Feststellung, wer dann gerade beim Zusammenstoßzeitpunkt von hinten gekommen ist, lässt sich dann nur schwer treffen. Hier kommt die Beweislast des Klägers zum Tragen, d.h., der Verletzte muss nachweisen, dass er beim Kollisionszeitpunkt der Vordere war. Dieser Beweis ist sehr schwer zu erbringen, sodass die Klage meistens abgewiesen wird.

Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfehler sind die häufigsten Unfallursachen.

Mindestens 8 von 10 Schifahrern, die mit einem anderen zusammenstoßen, sehen diesen vor der Kollision überhaupt nicht oder so spät, dass sie nicht mehr ausweichen können. Meist sind beide überzeugt, dass der andere von hinten gekommen ist, sonst hätte er ihn ja rechtzeitig gesehen und ausweichen können. Dieses Phänomen hängt damit zusammen, dass die meisten Schifahrer sich mit einem „begrenzten Blickfeld“ abwärts bewegen. Es ist aber von einem vorsichtigen Schifahrer zu fordern, dass er auch die Piste links und rechts beobachtet, d.h., dass er nicht nur geradeaus blickt, sondern gelegentlich 45 Grad nach links und rechts. Nur so kann er z.B. beobachten, dass z.B. rechts schräg vor ihm sich ein anderer Schiläufer befindet. Wenn er nur geradeaus schaut, könnte er diesen, der dann später seine Fahrlinie kreuzt, eben nicht wahrnehmen.

Dieses Beobachten der Räume rechts und links der Fahrlinie ist besonders bei Schrägfahrten von Bedeutung. Wer in flacher Hangspur über einen größeren Teil der Piste fährt, sieht schon aufgrund des natürlichen Blickwinkels (Geradeausblick) nicht nur den Pistenraum vor sich, sondern auch einen gewissen Teil seitlich, unterhalb und oberhalb. Ein Schifahrer, der eine solche längere Schrägfahrt unternimmt, ist daher nicht nur verpflichtet, sich nach unten und vorne zu orientieren. Es ist ihm auch zuzumuten, sich zu vergewissern, ob niemand von oben in schneller Fahrt seinen Weg kreuzt.

Man kann es oft nicht glauben, aber es kommt sehr häufig vor, dass zwei Schifahrer mit Schwüngen im stumpfen Winkel aufeinander zufahren, sich eigentlich auch gut sehen könnten und trotzdem kollidieren. Auch in diesem Fall gilt nicht etwa die FIS-Regel 3. Es gibt hier keinen von oben Kommenden oder Vorausfahrenden. Bei der Rekonstruktion solcher gegenläufiger Kollisionen stellt sich meist heraus, dass beide darauf vertraut haben, es würde schon deshalb nicht zur Kollision kommen, weil der andere eben ausweichen werde. Der vorsichtige Fahrer wird seine Geschwindigkeit stark reduzieren und ganz an den rechten Rand der Piste ausweichen, gegebenenfalls sogar stehen bleiben, wenn er sieht, dass der andere auf ihn überhaupt nicht achtet. Noch vorsichtiger muss man sein, wenn, was nicht selten vorkommt, mehrere Pisten an einem bestimmten Punkt (in eine größere, breitere) einmünden. Dort ist im Zweifel so langsam zu fahren oder gar anzuhalten, dass jedes Risiko ausgeschlossen werden kann.

Die Rechtsprechung hat auch für das Nebeneinander- und Hintereinanderfahren mit gleicher Geschwindigkeit gewisse Regeln aufgestellt. So geht man davon aus, dass Schi- oder Snowboardfahrer, die mit gleicher Geschwindigkeit nebeneinander fahren, den anderen schon durch das Hören, aber auch durch Sehen wahrnehmen können und dass keiner der beiden einen Vorrang hat. Es ist daher erforderlich, dass beide darauf achten, den seitlichen Abstand, wenn es irgend geht, zu vergrößern oder durch Geschwindigkeitsreduktion den anderen vorzulassen (bzw. umgekehrt).

Beim Fahren hintereinander, insbesondere in Gruppen, muss der Abstand so groß sein, dass einem stürzender Vordermann ausgewichen werden kann. Gerade diese Regel wird sehr häufig missachtet. Dazu kommt, dass derjenige, der in einer Gruppe abfährt, sich bei seiner Fahrlinie nicht auf seine Vorderleute verlassen darf, er muss durchaus auch die anderen Schifahrer, die sich auf der Piste befinden, beobachten. Wenn der Erste einer Gruppe beim Überholen noch leicht vorbeikommt, so muss dies für den Dritten oder Vierten in der Gruppe durchaus nicht mehr der Fall sein. Die Missachtung dieser Vorsichtsmaßnahme führt sehr häufig zu besonders schweren Unfällen.

Als allgemein bekannt gilt, dass jeder, der nach einem Halt anfährt oder sich in einen fließenden „Pistenverkehr“ einreiht, besondere Vorsicht walten lassen muss und, dass er gegenüber den anderen auf der Piste befindlichen Sportlern im Nachrang ist. Die Frage ist aber nun, ab wann kann er davon ausgehen, dass er sich selbst nun wieder in den „fließenden Schiverkehr“ eingereiht hat. Dabei wird nun von der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass man etwa nach 4 Sekunden Fahrt wieder normaler Pistenbenutzer ist und ab diesem Zeitpunkt darauf vertrauen kann, dass von hinten kommende, schnellere Schiläufer Rücksicht nehmen. Das gilt natürlich nur, wenn man abwärts fährt, nicht dann, wenn man die Piste quert.

Man kann zusammenfassend sagen, dass der vorsichtige Schiläufer nicht nur geradeaus nach unten schaut, sondern gelegentlich einen Blick nach links und rechts wirft. Dass er beim Anfahren besonders sorgfältig sich nach allen Seiten vergewissert, dass er versucht, von einem neben ihm fahrenden Schiläufer Abstand zu gewinnen und zwar dadurch, dass er entweder zur Seite ausweicht oder seine Geschwindigkeit verringert. Fährt man in einem Kurs, so gilt es als unvorsichtig, nur stur auf die Schienden des Vordermannes zu achten. Es ist ein entsprechender Abstand einzuhalten und Rücksicht auf andere Schiläufer zu nehmen. Aus diesem Grund wird es wohl als unvorsichtig einzustufen sein, wenn besonders große Gruppen mit relativ hoher Geschwindigkeit (fast die ganze Pistenbreite ausnützend) zu Tal donnern.

Zum Abschluss nochmals die FIS-Regeln:

  1. Rücksicht auf den anderen
    Jeder Schifahrer muss sich stets so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt.
  2. Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise
    Jeder Schifahrer muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und dem Gelände, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen.
  3. Wahl der Fahrspur
    Der von hinten kommende Schifahrer muss seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Schifahrer nicht gefährdet.
  4. Überholen
    Überholt werden darf von oben oder unten, von rechts oder links, aber immer nur in einem Abstand, der dem überholten Schifahrer für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt.
  5. Einfahren und anfahren
    Jeder Schifahrer, der in eine Schiabfahrt einfahren oder nach einem Halt wieder anfahren will, muss sich nach oben und unten vergewissern, dass er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann.
  6. Anhalten
    Jeder Schifahrer muss es vermeiden, sich ohne Not an engen oder unübersichtlichen Stellen einer Abfahrt aufzuhalten, ein gestürzter Schifahrer muss eine solche Stelle so schnell als möglich frei machen.
  7. Auf- und Abstieg
    Jeder Schifahrer, der aufsteigt oder zu Fuß geht, hat den Rand der Piste zu benutzen.
  8. Beachten der Zeichen
    Jeder Schifahrer muss die Markierung und die Signalisation beachten.
  9. Hilfeleistung
    Bei Unfällen ist jeder zur Hilfeleistung verpflichtet.
  10. Ausweispflicht
    Jeder Schifahrer, ob Zeuge oder Beteiligter, ob verantwortlich oder nicht, ist verpflichtet, sich auszuweisen.

Mag. Patrick Piccolruaz

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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6700 Bludenz
Vorarlberg, Österreich

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