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Kommentar «Overprotected»

Dr. Roland Piccolruaz befaßt sich in einem Kommentar neuerdings mit der Austrobürokratie.

In der letzen NOVUM - Ausgabe haben mir uns mit den Auswüchsen unserer Bürokratie befaßt. In Gesprächen und Diskussionen erhielten wir viel Zustimmung. Die Realität stimmt freilich pessimistisch, die Beharrungskräfte sind unüberwindlich.

1) Eine Reform könnte nur von der Politik ausgehen. Die meisten der überproportional aufgeblähten Apparate sind aber parteipolitisch durchtränkt, gelten als Bollwerke der eigenen Ideologie und - Versorgung. Auf so manchem ihrer lauschigen Plätzchen lassen sich immer noch Privilegien ungestört genießen. "Schlanker Staat" ist zwar ein allgegenwärtiges Lippenbekenntnis, sobald bei der Realisierung etwas weh tut, wird der berühmte "breite Konsens" gefordert, der natürlich nie erreicht wird und so wie gewünscht, alles beim alten bleibt. So hat z.B. Nationalratspräsident (und Ex-Pensionsbezieher) Neisser eine trickreiche Fragestellung zur Kammerabstimmung erfunden, um der Pflichtmitgliedschaft eine pseudodemokratische Legitimation in vergangen geglaubter Ostblockmanier zu bescheren. Der Parteieneinfluß wurde zementiert (was beabsichtigt war), Reformen "abgewendet"(was sich noch als tragisch herausstellen wird). Dabei würde der rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel dringend flexible, kreative, ausschließlich ihren Mitglieder (nicht einer Partei!) verpflichtete sparsam/ effiziente Interessenvertretungen erfordern. Das leistet auf Dauer nur, wer um Mitglieder werben muß, auf sie angewiesen ist und nicht Beamte, Parteisoldaten oder Funktionäre, die aus Eigennutz den Wettbewerb behindern bzw. vordringlich die Macht und den Einfluß der Koalition zu verteidigen bemüht sind.

Die Verpolitisierung der Kammern ist als zwingende Folge der Pflichtmitgliedschaft systemimmanent. Ihr können sich – solange sie besteht – auch die Gegner nicht entziehen, wollen sie Alleinherrschaften vermeiden. Die sog. "Entpolitisierung" der Vlbg. WK ist nicht mehr als ein PR-Gag. Riedmann ist weiterhin stellvertretender ÖVP-Obmann, der Wirtschaftsbund hat das Sagen. Wenn jetzt aber doch die Ausschaltung der Parteipolitik als notwendig anerkannt wird, ist dies ein Fortschritt; realisierbar allerdings erst nach Beseitigung der Pflichtmitgliedschaft.

2) Für das linke Spektrum der Parteienlandschaft stellen Verwaltungsapparate Arbeitsplätze und Kaufkraft dar, die es zu erhalten gilt: Die dringend notwendige Modernisierung unseres Staates durch Liberalisierung und Privatisierung denunzieren sie als kapitalistisch und hintertrieben sie. In Wahrheit geht es um den Parteieneinfluß. Strukturwandel findet daher nur unter äußerem Druck (EU-Post, Gerichte-Radio, Budget-CA) statt. Österreich verliert so ständig an Wettbewerbsfähigkeit.

3) Ein oft unterschätztes Hinderniß im Kampf gegen, die Umklammerung durch Verwaltungsapparate ist eine, durch die allumfassende Parteienherrschaft entstandene Mentalität. Der Begriff „overprotected“ stammt aus der Kindererziehung und beschreibt in etwa folgenden Vorgang: Eine überfürsorgliche Mutter hält ihr Kind von jeder Konfrontation mit dem Leben fern, indem sie die Gefahren - bewußt oder unbewußt - übertreibt. Das Ganze wirkt als sich selbst erfüllende Prophezeiung. Der junge Mensch wird tatsächlich so lebensuntüchtig, wie ihn die Mutter immer eingeschätzt hat und sie ihrerseits sichert sich die Mutterrolle bis ans Lebensende. Die Bevormundung durch die Politik und ihre „Hilfskraft“, die Bürokratie, hat genau diesen Effekt. Nur so ist es z.B. zu erklären, daß die Kammern allen Ernstes und weitgehend unwidersprochen behaupten können, ohne Pflichtmitgliedschaft gäbe es keine funktionierende Interessenvertretungen, weder Arbeitnehmer noch Unternehmer seien in der Lage, sich ohne obrigkeitlichen Zwang selbst zu organisieren bzw Ihre Interessen zu definieren. Welch ein Armutszeugnis für unser Demokratieverständnis.

Es ist leider wahr: Wir sind zu einem Volk von Bittstellern und Stubenhockern erzogen worden.

Bei der geschilderten Motivationslage wird die „Gründerwelle“ ein Wunschtraum derer bleiben, die sie verordnen und subventionieren wollen, zumal sie die notwendige Vorraussetzung hiezu verweigern: Die geplante Reform der Gewerbeordnung wird sich (wie beim letzten Mal) in Wortspielereien erschöpfen.

Exkurs 1: 1970 waren 7 % aller arbeitenden Amerikaner selbständig. 1986 war diese Zahl auf 11 % gestiegen, 1990 auf 15 %.Die Gruppe der Selbständigen wächst in den USA fast viermal so schnell wie die der anderen Erwerbstätigen. 1950 wurden jährlich 93.000 neue Unternehmungen gegründet, die Rate stieg 1980 auf 600.000 und hat 1990 mehr als 1 Mio. betragen. Von den ca. 11 Mio. Firmen in den Vereinigten Staaten sind 10,8 Mio. Kleinunternehmen. Der größte Teil dieser Klein-Firmen arbeitet mit Risikokapital. 1977 betrug der diesbezüglich Pool nur 39 Mio. Dollar, drei Jahre später war er auf 900 Mio. Dollar angestiegen, schon längst hat der die Milliardengrenze überschritten und wächst dramatisch weiter. (Naisbitt „Eine unternehmerische Explosion", 1992). Eine solche Entwick-lung kann nicht vom Staat verordnet werden, sie hat ihre Grundlage in der Erziehung und Einstellung der Bürger und in den bestehenden Rahmenbedingungen. Sie und nicht die Mc-Jobs haben die Arbeitslosigkeit in den USA fast beseitigt.

4) Der EU-Frust dürfte der gleichen Wurzel („overprotected“) entspringen. Der Staat kann uns nicht mehr immer und überall in Watte packen (Semperit); wir aber sind von den Regierungsparteien und regierungsnahen Medien (inkl. ORF) seit Jahr und Tag indoktriniert worden, zur Bewältignung der jeweiligen „großen Herausforderungen“ genüge eine starke Regierung (= Große Koalition), sie könne und würde alle Problem lösen. Dieses Allmächtigkeitsversprechen rächt sich nun. Kleinmütig stehen wir („wo bitte ist der versprochene Tausender?“) vor einem Jahrhundertereignis mit all seinen atemberaubenden Chancen. Daß wir die vielen Möglichkeiten nur nutzen können, wenn wir uns noch mehr anstrengen, wurde geflissentlich verschwiegen. Es wurde uns vorgegaukelt, wir könnten den Gipfel bequem mit der Seilbahn erreichen. Nun stellt sich heraus, daß wir zu Fuß gehen müssen.

5) Ein weiteres austriacum verhindert die für eine Entbürokratisierung notwendige Emanzipation des Bürgers: Führungspositionen beim Staat und im staatsnahen, insbes. im „geschützten“ Bereich werden vornehmlich nach Parteiräson bzw. „guten Beziehungen“ besetzt. Das hat fatale Folgen für das Gemeinwohl: Einerseits leidet die Qualität der so erzeugten Eliten, andererseits führt dies zu deren lebenslänglichen parteipolitischen Abhängigkeit (Sinowatz einmal treffend: "Was ich bin, bin ich durch die Partei"). Schlimmer noch, es wird eben wegen dieses Auswahlverfahrens das (vorauseilende) Unterwürfigkeitsverhalten auch und besonders von begabten Leuten von klein auf eingeübt. Der akademische Nachwuchs ist angepaßt wie nie, er kümmert sich nur um Freifahrtscheine etc.; Gesellschaftskritik, gar Aufbegehren - Fehlanzeige. Viele Künstler und Intellektuelle werden durch Subventionen korrumpiert und vom Moloch, den sie bekämpfen sollten, verschlungen. Das „Peter-Prinzip“ verstärkt die Versteinerung: Der Aufstieg in Bürokratien erfolgt nicht nach Tüchtigkeit sondern in Biennalsprüngen und durch Ersitzung. So werden bisweilen total überforderte (parteiabhängige) Leute in Führungspositionen (manchmal gar in ein Regierungsamt) gespült. Von ihnen das Format für Reformen zu verlangen ist eine Illusion. Davon reden sie zwar gern und bei jeder Gelegenheit, mehr als kosmetische Retuschen bringen sie aber selten zustande.

6) Das Ausufern des Sozialstaates steht mit dem Wachstum der Bürokratie in einer engen Wechselbeziehung. Zum einen gibt es genügend Ideologen die überall „Gerechtigkeitslücken“ sehen, die nur mit einem noch feineren Verteilungsmechanismus gestopft werden können. Dazu bedarf es weiterer Bürokratie. Andererseits ist es aber die Bürokratie selbst, die, um ihre Daseinsberechtigung zu beweisen bzw. zur Erweiterung ihres Tätigkeitsbereiches, ständig neue soziale Dienstleistungen erfindet. Man denke nur an die mit Pflichtbeiträgen subventionierten Selbstverwirklichungskurse der AK. Bisweilen müssen derartige „Angebote“ gar mit Fernsehspots und anderen teueren Marketingmaßnahmen in den Markt gepuscht werden, damit sie überhaupt ankommen.

Exkurs 2: In meiner Naivität hatte ich geglaubt, die Kammern würden irgendwann einmal eine Tochterfirma gründen, um ihre Aus- und Fortbildungsaktivitäten zu koordinieren. Sie könnten sich teures Equipment - insbesondere EDV-Ausrüstung - Baulichkeiten, Raummieten, aber auch Personal usw. sparen. Daraus wird wohl nichts. Microsoft bringt von seinen Softwarepaketen Word, Excel usw. bis dahin sicher, speziell für den österr. Markt, je eine schwarze und eine rote Version heraus, die untereinander klarerweise inkompatibel sein werden und so jeden Rationalisierungsdruck von der Kammerbürokratie nehmen. Da trifft es sich gut, daß die AK durch ihre Konsumentenschützerabteilung private EDV-Ausbildungsfirmen unter die Lupe nimmt, die in das sozialpartnerschaftliche Dumpingmonopol einbrechen wollen. Mit Hilfe der Medien kann die Konkurrenz dann ohne Risiko an den Pranger gestellt werden, man ist ja im Interesse des Gemeinwohls tätig: Willkommen im freien Markt!

7) Die Zurückbindung des Staatsapparates und der Sozialleistungen kann in weiten Teilen nur gemeinsam erfolgen. Die Lösung ist längst bekannt: Subsidiarität. Hilfe dort, wo sie nötig ist, im übrigen Vertrauen auf Eigeninitiative, Tatkraft und Optimismus der Bürger. Mediziner sind dazu übergegangen, einen Gipsverband so schnell wie möglich abzunehmen, um Muskelschwund und Gelenksversteifungen zu vermeiden. Der Jurist wiederum kennt die "Anspan-nungstheorie". Ein Richter bemißt den Unterhalt für die geschiedene Ehefrau nicht nach den Bezügen, den der Gatte angibt, sondern nach dem, was dieser unter Anspannung aller Kräfte verdienen könnte. Sie würden staunen, wie oft sich dadurch neue Quellen auftun.

Zugegebenermaßen haben es Politiker nicht so leicht wie Ärzte und Juristen. Jede Einschränkung staatlicher Leistungen trifft auf das opportunistische Sperrfeuer der Opposition. Dem kann nur mit einer massiven Aufklärungskampagne standgehalten werden und dadurch, daß man zu seinen Überzeugungen auch dann steht, wenn die Umfragewerte sinken (wie z.B. Kanzler Kohl) oder man gar sehenden Auges in eine Wahlniederlage schlittert (wie seinerzeit Schwedens Konservative). Unsere beiden Großparteien, jedenfalls deren Führungspersonal, sehen aber in der immerwährenden Machtausübung den eigentlichen Sinn ihrer Regierungstätigkeit. Um an den Futtertrögen bleiben zu können, verraten sie, wenn es sein muß, alle ihre Grundsätze und leben ohne Perspektiven in den Tag hinein. Ein Beispiel: Mit bestimmten "Werkverträgen" wird die Sozialversicherungspflicht umgangen, Mißbrauch getrieben. So hat kürzlich auch ein deutsches Höchstgericht entschieden. Das will man nun auch hierzulande abstellen. Soweit, so gut. Um nun bei einer einflußreichen Zeitung (eine von zweien, die nicht bedeutsam subventioniert wird und «daher?» die Koalition ziemlich unbeeindruckt kritisiert ) guten Wind zu machen, werden Kolporteure ohne sachliche Begründung davon ausgenommen, obwohl gerade sie ein Hauptanwendungsgebiet der gesetzwidrigen Konstruktion darstellen.

8) Seit der "Affäre Höchtl“ fehlt es an einer weiteren Voraussetzung, schmerzhafte Änderungen durchzusetzen - an der Glaubwürdigkeit. Die dabei zu Tage getretene Nehmerideologie samt Rechtfertigungsstrategie der Parteikumpanen haben eine ganze Politikergeneration dauerhaft diskreditiert.

9) Die große Koalition hat weder den Willen noch - trotz Verfassungsmehrheit! - die Kraft den notwendigen Umbau des Staates in Angriff zu nehmen, von der dazu erforderlichen Reputation ganz zu schweigen. Alle Energie wird zur Machterhaltung benötigt. Ein gefesselter Riese. Neuerungen werden nur unter äußerem Druck (Budgetnöte, Doppelbezüge) vorgenommen, die bestehenden Verkrustungen im übrigen unter Hinweis auf die großen Leistungen in der Nachkriegszeit und als "historisch gewachsen" verteidigt. Dies erinnert mich an jenen versprengten japanischen Offizier, der auf einer einsamen Pazifikinsel Tag für Tag seine Uniform anzog, seine Waffen pflichtbewußt pflegte und schließlich mutig auf seine Entdecker feuerte. Er hielt sie für die amerikanischen Invasionstruppen, weil er nicht wußte, daß der 2. Weltkrieg schon vor Jahrzehnten beendet worden war.

Fazit: All diese Beobachtungen und Überlegungen haben uns zur Überzeugung gebracht, daß die Verfassungsorgane die Austro-Bürokratie nicht mehr im Griff haben, eher umgekehrt. Sie führt - weitgehend unkontrolliert ihr Eigenleben, wächst weiter und ist unbesiegbar. Sie ist die eigentliche Herrscherin in unserem Land. Wir sind die Zahler.

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