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Der Vertrag von Lissabon

Der Vertrag von Lissabon, auch Reformvertrag genannt, soll der Europäischen Union eine neue innere Struktur geben. Er wird somit auch den abgelehnten Vertrag über die Verfassung für Europa ersetzen.

Entstehung des Reformvertrages

Beim EU-Gipfel im Oktober 2007 einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf den endgültigen Vertragstext, der am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet wurde. Bis Mitte 2008 sollte der Vertrag durch alle Mitgliedstaaten ratifiziert sein, am 01. Jänner 2009 soll der Reformvertrag in Kraft treten.

Ursprünglich sollten mit der Europäischen Verfassung alle bisher bestehenden EU-Verträge aufgehoben und durch einen einheitlichen Text ersetzt werden. Dieser Vertrag über die Verfassung von Europa, welcher in Rom unterzeichnet wurde, ist im Juni 2005 in Frankreich und in den Niederlanden von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt worden.

Die Regierung und Staatschefs änderten deshalb ihre Vorgehensweise. Das Verfassungskonzept wurde aufgegeben. Das neue Konzept beruht auf dem Reformgedanken. Zukünftig soll die EU wie bisher auf zwei Verträgen beruhen: Dem Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, welcher nunmehr Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union genannt wird. In diese Verträge, gemeinsam bezeichnet als Vertrag von Lissabon (Reformvertrag), wurde die wesentliche Substanz des EU-Verfassungsvertrages (der nicht angenommen wurde) eingearbeitet, sodass in der Praxis letztendlich mit dem neuen Vertrag von Lissabon die EU sehr wohl eine neue Verfassung erhält.

Um jedoch dem Ganzen den Anschein zu geben, dass nicht der Verfassungsvertrag über Umwege der Bevölkerung aufgedrückt wird, wurde nunmehr auf staatstypische Symbole wie Flagge und Hymne verzichtet. Ebenso wurde auf die Schaffung des Amtes eines EU-Außenministers verzichtet. Stattdessen wurde der „Hohe Repräsentant für Sicherheitspolitik“ als neues Amt geschaffen (inhaltlich entspricht dies ganz klar einem Außenminister). Das Wort „Verfassung“ wurde aus dem Lissaboner Vertrag gestrichen, ebenso erlässt die EU nicht wie in der Verfassung geplant Gesetze, sondern weiterhin Richtlinien und Verordnungen.

Abgesehen aber von diesen kosmetischen Änderungen wurde der EU-Verfassungsvertrag vollinhaltlich in den Lissaboner Vertrag aufgenommen.

In Irland wurde über den Lissaboner Vertrag eine Volksabstimmung mit dem bekannten Ergebnis durchgeführt. Politisch bedeutet dies zwar sicherlich einen Rückschlag für die EU, in der Realität ist aber davon auszugehen, dass die Ratifizierung des Reform-Vertrages weiter voranschreitet und mit oder ohne Irland dieser Vertrag in Kraft treten wird. Bis auf Irland wird der Reformvertrag in allen anderen Mitgliedstaaten nicht dem Volk zur Abstimmung vorgelegt, sondern von den zuständigen Parlamenten beschlossen.

Notwendigkeit einer Volksabstimmung
Grundsätzlich handelt es sich bei dem Lissaboner Vertrag um einen völkerrechtlichen Vertrag, d.h., ein Vertrag der zwischen Staaten abgeschlossen wird. Zuständig zur Genehmigung eines solchen Vertrages ist nach der österreichischen Verfassung das Parlament. Auch wenn ein derartiger völkerrechtlicher Vertrag Änderungen in der Verfassung bewirkt, ist grundsätzlich das Parlament dafür zuständig. Nach der österreichischen Verfassung ist nur dann eine Volksabstimmung notwendig, wenn Grundsätze der österreichischen Verfassung, also das republikanische, demokratische, rechtsstaatliche oder bundesstaatliche Prinzip in einem erheblichen Ausmaß geändert werden oder überhaupt eine Beseitigung erfolgen soll. Dies war bisher erst einmal der Fall. Der seinerzeitige Beitritt zur EU stellte nach einhelliger Ansicht aller Verfassungsjuristen eine Gesamtänderung der Bundesverfassung dar, weshalb dieser Beitrittsvertrag auch einer Volksabstimmung unterworfen wurde.

Vorrang EU-Recht vor nationalem Recht
Ob der gescheiterte europäische Verfassungsvertrag eine solche Gesamtänderung der Bundesverfassung impliziert hätte, blieb unter den Verfassungsjuristen strittig. Die Politik kümmerte sich freilich um diese Diskussion wenig. Die Argumente jener, die eine Volksabstimmung für den Verfassungsvertrag als geboten erachteten, stützten sich im Wesentlichen auf den uneingeschränkten und vorbehaltslosen Vorrang des gesamten Unionsrechts vor dem gesamten staatlichen Recht. Es weiß aber jeder Europarechtler, dass ein Vorrang des Gemeinschaftsrechtes vor dem jeweiligen staatlichen Recht vom Europäischen Gerichtshof schon seit langem judiziert wird. Dieser Vorrang wird heute auch von allen Gerichten der Mitgliedstaaten einhellig anerkannt. Das heißt, als Österreich 1995 der EU beitrat, gab es bereits diesen eindeutigen Vorrang des Gemeinschaftsrechtes vor dem nationalen Recht. Aber die Akzeptanz dieser Judikatur des Europäischen Gerichtshofes in Bezug auf den Vorrang des Unionsrechtes vor dem Gemeinschaftsrecht hat Grenzen. In einer Reihe von Mitgliedstaaten wird der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes nicht auch gegenüber den nationalen Verfassungen anerkannt. Der Verfassungsgerichtshof in Österreich geht jedoch auch vom Vorrang des Gemeinschaftsrechtes vor den Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes aus, ohne näher auf die Problematik einzugehen.

Schranke des EU-Rechtes
Eine Schranke des gemeinschaftsrechtlichen Vorrangs gilt auch in Österreich. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes nicht auch gegenüber den Grundprinzipien der Verfassung besteht (republikanisches, demokratisches, rechtsstaatliches und bundesstaatliche Prinzip). Der gescheiterte Verfassungsvertrag hätte keiner dieser Prinzipien tangiert, genauso wenig wie der nunmehrige Reformvertrag eines dieser Prinzipien tangiert. Hieraus ergibt sich, dass eine Volksabstimmung über den Reformvertrag verfassungsgesetzlich nicht zwingend geboten ist. Ob rechtspolitisch eine Volksabstimmung sinnvoll gewesen wäre, ist fraglich. Richtig ist, dass der Reformvertrag trotz gewissen marginalen Abspeckungen gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag erhebliche Auswirkung auf die Mitgliedstaaten hat. Das Mehrheitsprinzip bei der Gesetzgebung in der EU wird ausgebaut und bezieht sich zukünftig auch auf Rechtsakte im Bereich der inneren Sicherheit und der Justiz. Diese Rechtsakte werden unmittelbar anwendbar und genießen Vorrang vor widersprechendem staatlichen Recht. Das ausgedehnte Mehrheitsprinzip verringert den Einfluss eines kleinen Mitgliedstaates. Auch die anvisierte große Handlungsfähigkeit der EU in der Außenpolitik geht auf Kosten der Spielräume nationaler Politik. Der rechtsverbindliche Grundrechtskatalog und im Besonderen die darin verankerten sozialen Grundrechte werden eine äußerst weitreichende Judikatur des EuGH nach sich ziehen.

Repräsentative Demokratie
Gegen eine Volksabstimmung steht aber ganz sicherlich, dass der Vertragstext selbst für Experten schwer lesbar ist. Darüber hinaus betrifft der Vertrag immer nur indirekt die Bürger, da sich der Reformvertrag im Wesentlichen an die Organe der EU richtet und die Arbeitsweise der Organe neu regelt. Genau für derart komplexe Materien wurde die repräsentative Demokratie geschaffen. Gewählte Volksvertreter sollen sich intensiv mit der Materie auseinandersetzen, um nach bestem Wissen und Gewissen für ihre Bürger abzustimmen. Es ist kaum vorstellbar, dass die wirklich komplizierten Inhalte und Visionen, die in diesem Reformvertrag enthalten sind, vernünftig und ohne politische Agitation den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden können. Derart komplexe Themen können nur im Rahmen der repräsentativen Demokratie von Parlamenten entschieden werden.

Das Negativbeispiel einer Volksabstimmung konnten wir in Irland sehen. Nicht dass wir die Entscheidung des irischen Volkes kritisieren wollen, so ist doch zu bedenken, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist. Es gab keine Sachinformationen, vielmehr wurde auf emotionaler Weise versucht, den Iren Angst zu machen. Die Iren haben durch die EU zweifelsohne überproportional profitiert. Das Pro-Kopf-Einkommen in Irland ist weit über dem EU-Durchschnitt. Gegner des Reformvertrages, wobei die Gegnerschaft meistens nur aus innerpolitischen Überlegungen handeln, haben versucht, genau mit dem Verlust dieses Wohlstandes der irischen Bevölkerung Angst zu machen, weshalb diese letztendlich mit Nein entschieden hat. Den Befürwortern, insbesondere der Regierung, war es aufgrund der Komplexität der Materie nicht möglich, erfolgreich sachlich dagegen zu argumentieren. Letztendlich haben die Iren eine Entscheidung gefällt, ohne überhaupt wirklich zu wissen, über was sie abgestimmt haben. Diese Abstimmung war sicherlich ein Tiefpunkt der direkten Demokratie.

Nichtsdestotrotz wird trotz diesem Rückschlag im Ratifizierungsverfahren der Reformvertrag in Kraft gesetzt werden. Die übrigen Mitgliedstaaten sind jedenfalls gewillt, die Ratifizierung durchzusetzen.


Wir haben versucht, nachfolgend einige wichtige Punkte des Reformvertrages so einfach wie möglich für unsere Klienten darzulegen.

Rechtspersönlichkeit

Ausdrücklich bekommt die Europäische Union, kurz als Union bezeichnet, den Status einer internationalen Organisation und somit auch ganz klar Rechtspersönlichkeit. Das heißt, die Europäische Union hat in jedem Mitgliedstaat all jene Rechte, die eine juristische Person grundsätzlich haben kann. An sich ist man bisher immer davon ausgegangen, dass dem so ist. Hier erfolgt nun aber eine eindeutige Klarstellung – was etwas akademisch klingt, hat in der Praxis weitgehende Bedeutung, da die Europäische Union nunmehr in jedem Mitgliedstaat - wie jede andere juristische Person - Rechte erwerben kann, auch in internationalen Organisationen als ordentliches Mitglied auftreten kann usw. Die Europäische Union ist somit zukünftig völkerrechtlich wie ein Staat zu betrachten.

Organe und Einrichtungen

Die EU verfügt zukünftig über folgende Organe:

  • das Europäische Parlament
  • den Europäischen Rat (bestehend aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, dem Präsidenten der Kommission, dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates selbst)
  • dem Rat (bestehend aus den Fachministern)
  • die Europäische Kommission
  • dem Gerichtshof der EU
  • die Europäische Zentralbank
  • Rechnungshof

Das Europäische Parlament
Das Europäische Parlament wird weiter aufgewertet. Die bisherigen Kompetenzen des Europäischen Parlamentes lagen im Wesentlichen bei der Beschlussfassung des Budgets. Nunmehr sind verpflichtend Rechtsakte vor Beschlussfassung dem Europäischen Parlament vorzulegen, welches die Zustimmung zu erteilen hat. In den Verträgen ist verankert, dass zukünftig nur noch der Kommission das Initiativrecht zusteht, d.h., soweit nicht ausdrücklich in Spezialgebieten etwas anderes vorgesehen ist, darf ein Gesetzgebungsakt der Union nur noch auf Vorschlag der Kommission nach Vorlage beim Europäischen Parlament erlassen werden.

Darüber hinaus erhält das Europäische Parlament gewisse Kontrollrechte hinsichtlich der Kommission, welche als Regierung der EU betrachtet werden kann. Das Parlament erfährt durch den Reformvertrag eine Stärkung. Das Europäische Parlament wird nunmehr gemeinsam mit dem Rat (Fachministerrat) als Gesetzgeber der Union bezeichnet.

Das Europäische Parlament erhöht nunmehr die Befugnis, den Präsidenten der Europäischen Kommission zu befürworten oder aber aus einer Liste zu wählen, die diesem vom Europäischen Rat übermittelt wird.

Der Europäische Rat
Der Europäische Rat wird als Organ der EU neu festgelegt. Der Europäische Rat wählt für die Amtszeit von 2 ½ Jahren einen Präsidenten, der während dieser Zeit jedoch kein einzelstaatliches Amt ausüben kann (somit nicht Staats- oder Regierungschef sein kann). Der Europäische Rat soll Leitlinien und Grundsätze vorgeben.

Der Rat (Fachministerrat)
Der Rat (Fachministerrat) ist das Rechtssetzungsorgan in der EU. Von ihm geht die Gesetzgebung der Gemeinschaft aus. Jedes Land entsendet ein Regierungsmitglied (Fachminister) in den Rat. Vom Rat ausgehende Rechtsakte können entweder Verordnungen oder Richtlinien sein.

Die Beschlussfassung im Rat erfolgte bisher in der Regel einstimmig, teilweise waren bereits in kleinen Bereichen bisher Mehrstimmigkeiten vorgesehen. Dieses Abstimmungsverhalten im Rat als Gesetzesorgan wird durch den Reformvertrag wesentlich novelliert.

Neues Abstimmungsverfahren im Rat: Vetorecht fällt
Der vielleicht wichtigste Passus im Lissaboner Vertrag ist jener, in welchem der Abstimmungsmodus geändert wurde. Bisher galt das Einstimmigkeitsprinzip. Das führte aber dazu, dass einzelne Länder dies zu erpresserischen Forderungen genützt haben. Nunmehr werden Abstimmungen durch bestimmte im Vertrag festgelegte Mehrheiten entschieden. Anders ist die Gemeinschaft handlungsunfähig, da sie doch jetzt aus 27 Mitgliedern besteht. Um diese Klausel wurde lang gefeilscht, weil kleinere Länder befürchteten, sie würden nun von den großen überfahren. Der gefundene Modus ist ein Kompromiss, der durchaus auch die Interessen kleiner Länder berücksichtigt und ihnen Möglichkeiten zur Einflussnahme gibt.

Die Beschlüsse im Rat werden künftig in der Regel mit qualifizierter Mehrheit gefasst. Dies heißt, ein Beschluss braucht:

  1. Mindestens eine Mehrheit von 55 % der Mitglieder (mindestens jedoch 15 Mitglieder) und
  2. mindestens 65 % der Bevölkerung, welche in der Europäischen Union repräsentiert werden.

Erfolgt die Beschlussfassung nicht auf Vorschlag der Kommission oder auf eine Initiative des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, sind 72 % der Mitglieder des Rates erforderlich, die mindestens 65 % der Bevölkerung der Union repräsentieren.

Diese neuen qualifizierten Mehrheiten finden allerdings erst ab Anfang November 2014 Anwendung. Bis Ende Oktober 2014 ist weiterhin die derzeit geltende Abstimmungsmehrheit anzuwenden.

Für eine Sperrminorität sind vier Mitglieder des Rates erforderlich, drei der Mitglieder des Rates müssen mindestens 35 % der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten repräsentieren zuzüglich einem Mitglied des Rates. Als weiterer Minderheitenschutz wurde der so genannte Kompromiss von Ioannina vereinbart. Danach werden die Verhandlungen im Rat für eine angemessene Frist fortgesetzt, wenn mindestens 21 % der Mitgliedstaaten oder mindestens 26,25 % der repräsentierten Bevölkerung es verlangen.

Die Europäische Kommission
Die Europäische Kommission gilt als Regierung der EU. Sie hat ihren Sitz in Brüssel. Im Wesentlichen hat die Kommission drei wichtige Aufgaben:

a) Sie hat das so genannte Initiativmonopol, d.h., ohne Vorschlag der Kommission kann der Rat keine Gesetze (Verordnungen) erlassen.

b) Die Kommission tritt als Hüterin der EU auf. Sie kontrolliert die Mitgliedstaaten und kann sie notfalls auch vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.

c) Die Kommission ist die Vertreterin der EU nach außen hin. Sie vertritt die EU in Prozessen und in internationalen Organisationen.

Die Kommission besteht aus dem Präsidenten und den Kommissaren, wobei aus jedem EU-Staat ein Kommissar entsandt wird. Ab 2014 wird die Zahl der Mitglieder der Kommission auf zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedstaaten verkleinert. Die Kommission wird sich dann aus dem Präsidenten der Kommission, aus dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie aus verschiedenen Kommissaren, die im Rotationsprinzip aus den Mitgliedstaaten entsandt werden, zusammensetzen.

Nach dem Reformvertrag wird der Kommissionspräsident künftig vom Europäischen Parlament gewählt und nicht mehr vom Europäischen Rat. Die übrigen Mitglieder der Kommission werden wie bisher von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen und im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Kommissionspräsidenten vom Rat ausgewählt. Die ganze Kommission inklusive dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik müssen sich dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments unterwerfen.

Der Europäische Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof besteht aus dem Europäischen Gerichtshof an sich und dem Gericht erster Instanz, welches für EU-Beamtensachen zuständig ist. Der Sitz der EuGH ist in Luxemburg. Der Gerichtshof ist ein wesentliches Element des EU-Rechtes. Die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes lehnt sich an das angelsächsische Recht an. Das heißt, durch den Europäischen Gerichtshof wird wie auch im angelsächsischen Recht neues Recht geschaffen, das so genannte Richterrecht. Der Europäische Gerichtshof hat einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des EU-Rechts geschaffen.

Die Stellung des Europäischen Gerichtshofes wird durch den Reformvertrag gestärkt; die Zuständigkeiten besser definiert. Der Reformvertrag verbessert darüber hinaus den Rechtsschutz einzelner Bürger. Zukünftig können EU-Bürger Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben, wenn sie durch eine Verordnung unmittelbar betroffen sind und diesbezüglich keine Durchführungsmaßnahmen auf nationaler Ebene erfolgen. In diesem Zusammenhang kann sich der EU-Bürger dann auf die Grundrechtscharta berufen. Dazu weiter unten.

Der Europäische Rechnungshof
Der Europäische Rechnungshof hat seinen Sitz in Luxemburg. Der Rechnungshof besteht aus besonders geeigneten und unabhängigen Personen. Die Aufgabe des Rechnungshofes entspricht in etwa der Aufgabe des österreichischen Rechnungshofes. Er hat alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft hinsichtlich Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit zu prüfen und überzeugt sich von der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung.

Die Europäische Zentralbank
Die Europäische Zentralbank ist die Hüterin der gemeinsamen Währung Euro. Die Aufgabe der Zentralbank sind insbesondere Festlegung und Ausführung der Geldpolitik der Gemeinschaft, Durchführung der Devisengeschäfte, Halten und Verwalten der offiziellen Währungsreserven und Förderung des reibungslosen Funktionierens des Geldverkehrs. Die Europäische Zentralbank übernimmt daher im Wesentlichen die Aufgaben der nationalen Zentralbanken, die aber weiterhin natürlich bestehen bleiben.

Beitritt und Austritt

Beitrittswillige Staaten müssen die Werte der EU respektieren. Mit dieser Formulierung wird den strikten Beitrittskriterien, die Frankreich und Holland verlangt haben, entsprochen.

Der Vertrag von Lissabon sieht auch erstmalig die Möglichkeit vor, dass ein Staat freiwillig aus der EU austreten kann.

Demokratieprinzip

In der Bevölkerung besteht in Bezug auf die EU vor allem die Befürchtung, dass die Entscheidungen innerhalb der EU von geringer demokratischer Legitimation und Willensbildung geprägt sind. Im neuen Reformvertrag wird zumindest argumentativ versucht, dem entgegenzuwirken. Ausdrücklich ist nunmehr festgeschrieben: Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie.

Das Legitimationsmodell der EU sieht nunmehr zwei Säulen vor. Einmal eine unmittelbare über Direktwahl des Europäischen Parlaments sowie eine mittelbare im Wege der Vertretung der Mitgliedstaaten im Europäischen Rat und im Fachministerrat. Die Mitglieder des Europäischen Rates bzw. des Fachministerrates sind wiederum den nationalen Parlamenten verantwortlich.

Weiters wird nunmehr im neuen EU-Vertrag zwischen jenen Organen, die zur Mitwirkung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren berufen sind sowie jenen Einrichtungen, die bloß beratende oder sonstige Aufgaben wahrnehmen, unterschieden.

EU-Gesetzgebung und Durchführung

Grundsätzlich kann man in der EU zwischen dem so genannten primären und sekundären Gemeinschaftsrecht unterscheiden.

Primäres Gemeinschaftsrecht
Primäres Gemeinschaftsrecht sind die Gründungsverträge, die Beitrittsverträge und die wichtigsten Änderungen der Verträge, so wie jetzt der Reformvertrag. Der Reformvertrag ändert die bestehenden primären Verträge (reformiert diese). Zusammengefasst kann dieses Primärrecht als Verfassung der EU angesehen werden.

Sekundäres Gemeinschaftsrecht
Damit meint man Rechtsakte, die von den Organen erlassen werden bzw. Urteile des EuGH. Die diesbezüglichen Befugnisse ergeben sich aus dem Primärrecht. Hauptgesetzesorgan ist der Rat, aber auch die Kommission kann in einzelnen Bereichen Recht schaffen. Folgende Rechtsakte gibt es:

  • Verordnungen
  • Richtlinien
  • Entscheidungen
  • Stellungnahmen
  • Empfehlungen

Verordnungen
Die Verordnung ist etwa das, was man als Gesetz bezeichnen könnte. Im Verfassungsvertrag wurde auch vorgesehen, die Verordnungen künftig Gesetz zu nennen. Dieser Gedanke ist wieder gestorben. Verordnungen wirken in allen Mitgliedstaaten sofort und unmittelbar, ohne dass der jeweilige Staat noch irgendetwas zu seiner Wirksamkeit beitragen muss oder darf.

Richtlinien
Die Richtlinien geben den Rahmen der EU vor, in welchem der Mitgliedstaat verpflichtet ist, eine Umsetzung in nationales Recht vorzunehmen. Entspricht er dieser Umsetzung nicht, besteht die Möglichkeit, dass nach Ablauf der Umsetzungsfrist, die in den Richtlinien aufgenommen ist, die Richtlinie sofort und unmittelbar im jeweiligen Staat wirkt. Das heißt, der Bürger kann sich dann direkt auf die Richtlinie berufen. Der einzelne Bürger hat gegebenenfalls sogar die Möglichkeit, den Staat auf Schadenersatz zu verklagen, wenn ihm durch die mangelnde Umsetzung ein Schade entstanden ist.

Entscheidungen
Entscheidungen sind individuelle Rechtsakte von Organen, in der Regel von der Kommission, die mit einem Verwaltungsbescheid verglichen werden können.

Empfehlungen
Empfehlungen haben keinen verbindlichen Rechtscharakter. Empfehlungen stellen in der Regel Interpretationshilfen dar und werden im Vorfeld von Klagen an den EuGH von der Kommission herausgegeben.

Rechtsschutzsystem der EU

Das Individualrechtssystem in der EU ist etwas anders definiert als im Nationalstaat. Der Einzelne kann sich an den Europäischen Gerichtshof nur in bestimmten Fällen wenden. Grundsätzlich sind nachfolgende Rechtsbehelfe vorgesehen.

Nichtigkeitsklage
Der Einzelne kann sich gegen verbindliche individuelle Rechtsakte des Rates oder der Kommission (in der Regel Entscheidungen) mittels der Nichtigkeitsklage an den Europäischen Gerichtshof wenden.

Neu ist, dass durch den Reformvertrag die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage erweitert wurde. Die EU-Bürger können sich zukünftig auch gegen Verordnungen mittels einer Nichtigkeitsklage beim EuGH wehren, wenn diese Verordnung sie unmittelbar und direkt zu ihrem Nachteil trifft und es, was die Regel ist, keinen Umsetzungsakt im nationalen Staat gibt.

Untätigkeitsklage
Das Gemeinschaftsrecht räumt dem Einzelnen die Möglichkeit, eine so genannte Untätigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof zu erheben, ein. Dies dann, wenn der Rat oder die Kommission tätig werden müssten, dies jedoch nicht tun.

Schadenersatzklage
Sollte jemand durch ein Organ oder einen Bediensteten der Europäischen Union in Ausübung dessen Amtstätigkeit ein Schade zugefügt werden, kann derjenige vor dem Europäischen Gerichtshof gegenüber der EU Schadenersatz einklagen.

Vorlageverfahren
Wichtigstes Rechtsschutzmittel ist aber das Vorlageverfahren. Das heißt, innerstaatliche Gerichte und Verwaltungsbehörden als letzte Instanz, müssen eine Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Beurteilung vorlegen, wenn die Rechtssache auch europäisches Recht betrifft. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Richter prüfen lassen muss, ob eine Verordnung oder eine Richtlinie auf den Rechtsfall zur Anwendung kommt. Gerade diese Vorlageverfahren haben einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Europarechtes geleistet. In Österreich werden jährlich unzählige derartige Vorlageverfahren von den nationalen Gerichten an den Europäischen Gerichtshof herangetragen. Fast in jeder Materie spielt heutzutage EU-Recht eine Rolle, sodass sehr oft die Auslegung von EU-Recht notwendig ist.

Grundrechte-Charta

Zukünftig ist die Grundrechtscharta ein Teil des EU-Rechtes, weshalb sich auch zukünftig sowohl vor den nationalen Gerichten als auch vor den Europäischen Organen jeder Einzelne der Europäischen Union auf diese Charta berufen kann.

Grundrechtsschutz
In den EU-Verträgen wurde aufgrund des vorliegenden Reformvertrages nunmehr eindeutig festgelegt, dass die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und wie sie sich aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten ergeben, gewährleistet sind. Die EU tritt zudem der Europäischen Menschenrechtskonvention bei.

Es wurde darüber hinaus ein moderner Grundrechtskatalog geschaffen, auf den sich jeder EU-Bürger sowohl vor europäischen als auch nationalen Behörden und Gerichten berufen kann.

Die Grundrechte, die im Grundrechtskatalog der EU aufgenommen worden sind, entsprechen wie bereits gesagt den Grundrechten der Europäischen Konvention und den anerkannten Grundrechten der Mitgliedstaaten. Der Grundrechtskatalog wurde jedoch stark modernisiert. Nur als Beispiel möchten wir hier einige modernisierte Grundrechte nennen:

Recht auf Leben
Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

Achtung des Privat- und Familienlebens
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Schutz der personenbezogenen Daten
Jede Person hat das Recht auf Schutz der betreffenden personenbezogenen Daten. Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder einer sonstigen gesetzlichen legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die betreffenden personenbezogenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von unabhängiger Stelle überwacht.

Recht eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen
Das Recht, eine Ehe einzugehen und das Recht, eine Familie zu gründen, sind in den einzelstaatlichen Gesetzen zu garantieren, welche die Ausübung dieser Rechte regeln.

Recht auf Bildung
Jede Person hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zu beruflicher Aus- und Weiterbildung. Dieses Recht umfasst die Möglichkeit, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen.

Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten
Jede Person hat das Recht zu arbeiten und einen frei gewählten angenommenen Beruf auszuüben. Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen und Dienstleistungen zu erbringen. Die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen.

Unternehmerische Freiheit
Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

Rechte der Kinder
Kinder haben Anspruch auf Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in Angelegenheiten, die sie betreffen, in einem ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechender Weise berücksichtigt.

Schutz der ungerechtfertigten Entlastung
Jeder ArbeitnehmerIn hat nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung.

Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung
Die Union anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zur Leistung in der sozialen Sicherheit und zu sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewähren und zwar nach Maßgabe des Unionsrechtes und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.

Neben diesen ausgeführten Rechten gibt es noch eine Unzahl von weiteren Grundrechten, wie z.B. Würde des Menschen, Recht auf Unversehrtheit, Verbot der Folterung, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Recht der Freiheit und Sicherheit, Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, Freiheit der Kunst und Wissenschaft, Eigentumsrecht, Schutz bei Abschiebung, Nichtdiskriminierung, Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen, Gleichheit von Mann und Frau, Rechte älterer Menschen, Verbot von Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz, Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte.

Fazit

Der Reformvertrag ist sicherlich über weite Strecken den in ihn gesetzten Ansprüchen gerecht geworden. Die Ausgestaltung des Abstimmungsprozederes im Rat sowie die erneute Stärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments stellen einen wesentlichen Schritt zu mehr Transparenz und demokratischer Willensbildung innerhalb der europäischen Entscheidungsprozesse dar. Die Neuordnung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ist eine Verbesserung, sodass in diesem Bereich auch dem Anliegen vermehrter Rechtssicherheit Rechnung getragen wurde. Schließlich ist dem Reformvertrag die Erfüllung seiner bedeutendsten Aufgabe – nämlich der Anpassung der Entscheidungsmechanismen der Europäischen Union an eine gewachsene Anzahl von Mitgliedstaaten jedenfalls gelungen.

Wir gehen an sich fest davon aus, dass trotz des Rückschlags durch die Volksabstimmung in Irland dieser Reformvertrag letztendlich in Kraft treten wird. Der EU bleibt keine andere Wahl. Sicherlich kann der Reformvertrag kritisiert werden (wie alles kritisiert wird). Man muss aber bedenken, dass dieser Vertrag in komplizierten Verhandlungen mit allen Mitgliedstaaten zustande gekommen ist und keiner der Kritiker an sich Alternativen eines anderen Textes zur Diskussion gestellt hat.

Dr. Stefan Müller

Rechtsanwälte
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Vorarlberg, Österreich

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