Nur wenige Berufsgruppen sind mit einem derart hohen Risiko wie die Ärzteschaft behaftet, das sich hin bis zur potenziellen Tötung von Menschenleben erstreckt. Fragen der ärztlichen Verantwortung wurden für lange Zeit mehr durch Ethik geklärt als durch Recht.
Heute ist es ein allgemein zu beobachtendes Phänomen, dass die rechtsfreien Räume praktisch überall zurückgedrängt werden, wobei es dem Zeitgeist entspricht, alles in Gesetze und Paragrafen zu fassen. Das führt in der Medizin dazu, dass die in Grenzfällen schwierigen ärztlichen Entscheidungen oft nicht primär nach Ethik und Gewissen, sondern nach den Gesetzen getroffen werden.
Aufklärung gehört zu den Arztpflichten
Die Aufklärung des Patienten gehört zu den wesentlichen Pflichten des Arztes. Der Arzt soll den Patienten als selbstverantwortlichen Partner (nämlich Vertragspartner des Behandlungsvertrages) in Respekt vor dessen persönlichen Rechten akzeptieren, um ihm Rat und Hilfe zu geben. Der Arzt schuldet seinen Patienten Aufklärung. Diese Pflicht zur Aufklärung darf jedoch nicht dazu führen, dass das Aufklärungsgespräch schon mehr juristischen Charakter (nämlich zukünftige Absicherung von Behandlungsfehlern) annimmt, als eine tatsächliche Aufklärung über die Behandlung. Ärzte fühlen sich durch die Tendenz der Rechtsprechung zur Totalaufklärung zum Teil schon so unter Druck gesetzt, sich rechtlich abzusichern, dass der medizinische Versorgungsfaktor erst zweitrangig zur Anwendung kommt und tatsächlich vorrangig der Versuch unternommen wird, mit juristischen Floskeln eine für sie günstige Beweislage zu schaffen. Das kann aber nicht Sinn der Aufklärung sein.
Äußerst bedenklich erscheinen in diesem Zusammenhang internationale Studien zum Einfluss voroperativer Aufklärung auf die Entscheidungsfindung von Patienten. 95 % der Patienten waren am Tag nach einer Operation trotz standardisierter Aufklärung am Vortag nicht im Stande, wenigsten drei von fünf wesentlichen Komplikationen aufzuzählen. Über 36 % behaupteten, gar nicht über Risiken aufgeklärt worden zu sein und ebenso viele verneinten, etwas über die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen erfahren zu haben. 78 % wussten nicht, dass sie über alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt wurden. Nach einer Herzkathederuntersuchung behaupteten sogar 25 % der Patienten gar nicht aufgeklärt worden zu sein, obwohl Tonbandaufnahmen davon existierten.
Persönliches Gespräch notwendig
Aus dieser Studie ersieht man leicht, dass die Aufklärung nicht standardisiert werden kann und individuell und bewusst vom Arzt vorgenommen werden muss. Die Aufklärung gehört zum kommunikativen Teil des Arztberufes und darf von den Ärzten nicht als Belastung durch „weltfremde“ Juristen verstanden werden.
Aufzuklären hat jener Arzt, der den mit den Risiken verbundenen Eingriff vornimmt bzw. die Behandlung tatsächlich durchführt. Eine Delegierung an nichtärztliches Personal ist nicht zulässig. Auch kann die Aufklärungspflicht nicht dem Krankenhausbetreiber aufgelastet werden. Das Ergebnis der Aufklärung muss letztendlich die Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung durch den Patienten sein. Bei Minderjährigen entscheiden die Eltern bzw. Pflegeberechtigten, wobei der Oberste Gerichtshof ausgeführt hat, dass bei ärztlichen Eingriffen an Minderjährigen im urteilsfähigen Alter sowohl die Einwilligung des Minderjährigen selbst als auch die Zustimmung des sorgeberechtigten gesetzlichen Vertreters eingeholt werden muss. In diesem Sinne ist dann auch die Aufklärung zu verstehen.
Bei einem Bewusstlosen kann nicht aufgeklärt werden und deshalb ist auch eine Zustimmung für die Heilbehandlung nicht erforderlich, wenn der damit verbundene Behandlungsaufschub lebens- oder schwer gesundheitsgefährdend wäre.
Richtlinien
Der tatsächliche Umfang der Aufklärung ist im Gesetz nicht definiert. Der Oberste Gerichtshof hat unter ausdrücklichem Hinweis auf fehlende Gesetze und Normen zum Aufklärungsumfang bestimmte Richtlinien definiert. In welchem Umfang der Arzt letztendlich den Patienten aufklären muss, ist eine Rechtsfrage.
Die Aufklärung soll jedenfalls dazu führen, dass der Patient Chancen und Risiken (Art, Bedeutung, Dringlichkeit, Ablauf und Folgen) eines Eingriffs in den Grundzügen versteht. Die Aufklärung ist von einem Arzt im Gespräch mit einem Patienten vorzunehmen – über die Verständlichkeit entscheidet demnach der Empfängerhorizont (formuliert überspitzt heißt dies, dass nötigenfalls das Medizinische in den Dialekt übersetzt werden muss). Jedenfalls genügt es nicht, eine Zustimmungserklärung zu einem operativen Eingriff auf bürokratischem Weg einzuholen, dh, durch Überreichung eines Merkblatts, auf welchem allenfalls unterschrieben werden muss.
Therapeutisches Privileg
Ein generelles „therapeutisches Privileg“ gibt es nicht. Unter therapeutischem Privileg versteht man die Situation, dass nach ärztlichem Ermessen die rückhaltlose Aufklärung des Patienten die Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs mit sich bringen würde und der Patient möglicherweise dringend notwendige Behandlungen ablehnt. Der Oberste Gerichtshof hat zwar im Jahr 1982 bereits ein derartiges therapeutisches Privileg in gewisser Weise anerkannt, indem er entschied, dass im Grenzfall die ärztliche Fürsorge und Hilfeleistungspflicht wichtiger sei als das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. In der Folge hat der Oberste Gerichtshof aber mehrfach entschieden, dass ein generelles derartiges therapeutisches Privileg nicht besteht. Der Arzt muss gegebenenfalls darlegen und auch allenfalls vor Gericht beweisen können, dass eine vollständige umfassende Aufklärung für den Patienten schlimmer gewesen wäre als eine eingeschränkte.
Diagnose und Therapieverlauf
Die Aufklärung muss jedenfalls die Diagnose enthalten sowie den Therapieverlauf und die damit verbundenen Risiken inklusive allfälliger Nebenwirkungen von Medikamenten. Auch auf mögliche Alternativmethoden ist aufmerksam zu machen. Bei neuen Behandlungsmethoden und Experimenten ist die Anforderung an den Umfang der Aufklärungspflicht besonders hoch. Auf objektiv unbedeutende Risiken oder Nebenwirkungen ist nur hinzuweisen, wenn für den Arzt erkennbar ist, dass es für den Patienten wichtig ist.
Konsequenzen
Bei unterlassener oder mangelnder Aufklärung kann der Arzt schadenersatzpflichtig werden. Grundsätzlich muss der Arzt den Beweis führen, der Aufklärungspflicht genügt zu haben bzw. dass der Patient bei ausreichender Aufklärung mit Sicherheit dem Risiko zugestimmt hat. Die Führung von Aufzeichnungen ist für den Arzt neben der gesetzlichen Verpflichtung dazu auch deshalb wichtig, weil er dadurch im Falle eines Arzthaftungsprozesses eine präzise und umfassende Grundlage für die Erörterung des Falles zur Verfügung hat und es ihm ohne eine derartige Unterlage kaum möglich sein wird, sein fehlerfreies Verhalten zu beweisen. Andererseits kann auch der Patient jederzeit in diese Unterlagen Einsicht nehmen (Informationsrecht) und hat dadurch die Möglichkeit, einen Behandlungsfehler leichter entdecken zu können. Der Patient hat auch ein Recht auf Herstellung von Fotokopien der Krankengeschichte und kann diese dann einem Arzt seines Vertrauens zur Überprüfung geben.
Umfang der Schadenersatzpflicht
Voraussetzung für einen Schadenersatz ist aber, dass ein ersatzfähiger Schade eingetreten sein muss und zwischen dem Verhalten des Arztes (mangelnde Aufklärungspflicht) und dem eingetretenen Schaden eine Kausalität besteht. Tritt also ein typisches Risiko eines Eingriffes ein und wurde er darüber nicht aufgeklärt, so hat der Patient grundsätzlich Schadenersatzanspruch. Es sei denn, der Arzt könnte beweisen (was praktisch nicht möglich ist), dass dieser Eingriff trotzdem vom Patienten in dieser Art und Weise auch bei entsprechender Aufklärung gemacht worden wäre. Das OLG Linz hat zB entschieden, dass in Folge von Aufklärungspflichtverletzung bei einer kosmetischen Operation der beklagte Arzt für alle nachteiligen Folgen haftet, welche ohne die besagte Operation nicht eingetreten wären und welche nicht eine ganz außergewöhnliche und außerhalb jeder Lebenserfahrung liegende Folge der Operation darstellen.