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EU: Ein Rechtsraum wächst zusammen

In den vergangenen Jahren hat die EU maßgeblich dazu beigetragen, einige rechtliche Barrieren zu beseitigen und die Rechtsdurchsetzung in Europa zu vereinfachen und zu beschleunigen. Damit wurde die „fünfte Grundfreiheit“ des Europäischen Binnenmarktes – die „Freiheit der Urteile“ gestärkt. Jeder der 27 EU-Staaten hat Urteile aus einem anderen EU-Mitgliedstaat zu akzeptieren und zu vollstrecken. Eine Überprüfung darf (bis auf wenige Ausnahmen) nicht erfolgen.

Europäisches Mahnverfahren

Jüngst hat der europäische Gesetzgeber weitreichende Maßnahmen gesetzt. So wurde der Europäische Vollstreckungstitel und auch das Europäische Mahnverfahren für Forderungen beschlossen. Der Europäische Vollstreckungstitel ist bereits seit 2005 in Kraft und erleichtert die Durchsetzung der Urteile in der Praxis bereits wesentlich. Das Europäische Mahnverfahren tritt im Jahr 2008 in Kraft. Erklärtes Ziel ist es, grenzüberschreitende Verfahren über unbestrittene Geldforderungen zu vereinfachen und zu beschleunigen, die Verfahrenskosten zu verringern sowie den freien Verkehr europäischer Zahlungsbefehle in allen Mitgliedstaaten durch Abschaffung von Hürden zu ermöglichen. Derart unbestrittene Forderungen machen in etwa 90 % der im Ausland zu vollstreckenden Titel aus. Im Gegensatz zum österreichischen Zahlungsbefehl gibt es auch keine oberen Wertgrenzen mehr. Während in Österreich ein Zahlungsbefehl (und ein Zahlungsauftrag) nicht erlassen werden darf, wenn der Betrag höher als € 30.000,00 ist oder wenn der Beklagte seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat, gilt das Europäische Mahnverfahren nur in grenzüberschreitenden Rechtssachen. Dann aber wertmäßig unbeschränkt, soweit es sich um Geldforderungen handelt. Eine grenzüberschreitende Rechtssache liegt dann vor, wenn mindestens einer der Parteien ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat als den des befassten Gerichtes hat.

Europaweite Vollstreckung

Die Gerichtszuständigkeit richtet sich nach den Bestimmungen der Europäischen Gerichts- und Vollstreckungsverordnung, jedoch kann gegen einen Konsumenten ein Europäisches Mahnverfahren nur vor dem Gericht seines Wohnsitzstaates eingeleitet werden. Das befasste Gericht hat grundsätzlich den Antrag zu prüfen und weist den Antrag auf Erlassung eines Zahlungsbefehles nur dann zurück, wenn die Forderung „offensichtlich unbegründet“ ist oder wenn sonstige Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Anderenfalls erlässt das Gericht sobald als möglich – in der Regel binnen dreißig Tagen – einen Europäischen Zahlungsbefehl, der in allen Mitgliedstaaten vollstreckbar wird, wenn der Antragsgegner nicht innerhalb von dreißig Tagen nach der Zustellung einen Einspruch erhebt. Dieser Einspruch bedarf aber keiner Begründung. Nach einer fristgerechten Einspruchserhebung wird das Verfahren vor den zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates nach den Regeln des nationalen Zivilprozessrechtes weitergeführt. Der Antragsteller (Kläger) kann aber bereits bei Beantragung eines Europäischen Zahlungsbefehles vorsehen, dass im Falle einer Einspruchserhebung das Verfahren eingestellt wird (dies kann vernünftig sein, um unnötige Kosten zu vermeiden). Mit diesem neuen Europäischen Mahnverfahren kann etwa ein in Österreich erlassenes Urteil in allen Staaten der EU durchgesetzt werden und somit wird es für Schuldner immer schwieriger, sich ihren Verpflichtungen zu entziehen.

Vorsicht geboten ist aber auch für Schuldner in Österreich, die bisher getrost europäische Gerichtsverfahren ignorieren konnten, weil sie sich vor heimischen Gerichten oft mit Erfolg gegen die Vollstreckung wehren konnten. Dies ist nicht mehr möglich, weil ein derart unbestrittener ausländischer Zahlungsbefehl zukünftig in Österreich ohne Überprüfung vollstreckt werden wird.

Mit dem Europäischen Mahnverfahren, das im Dezember 2008 in Kraft treten wird, bricht sicherlich ein neues Zeitalter der internationalen Rechtsdurchsetzung an.

Europäisches Gesellschaftsrecht

Im Oktober 2004 wurde die Richtlinie über die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea (SE)) erlassen. Die grenzüberschreitenden Verschmelzungen, die Bildung supranationaler Aktienholdinggesellschaften sollten mit dieser Gesellschaftsform erleichtert bzw. erst ermöglicht werden. Es hat sich gezeigt, dass diese Gesellschaftsform wenig angenommen wird. Einer der Gründe ist, dass diese Europäische Aktengesellschaft nicht in allen Mitgliedstaaten gleich ausgebildet wurde. Die Vorgehensweise, hier eine Richtlinie zu schaffen, welche letztendlich jeder einzelne Mitgliedstaat in sein nationales Recht umzusetzen hat, führte dazu, dass die Rechtsbestimmungen dieser Europäischen Aktiengesellschaft wiederum nicht in allen Mitgliedstaaten tatsächlich ident sind. In der Praxis hat sich daher bisher diese Europäische Aktiengesellschaft nicht durchgesetzt.

Europäische Genossenschaft

Seit Juli 2006 wurde für grenzüberschreitende Genossenschaften eine eigene Rechtsform geschaffen, die Europäische Genossenschaft (SCE). Auch hier wurde das Instrument der Richtlinie gewählt. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Genossenschaft besser etablieren kann als dies mit der Europäischen Aktiengesellschaft der Fall war.

Aufgrund der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere durch die richtungsweisenden Urteile Centros, Überseering und zuletzt Inspire Art, gab es eine radikale Neuinterpretation für die Niederlassungsfreiheit von Privatgesellschaften (private limited company) usw. Jedenfalls ist es nunmehr klar entschieden, dass jede in einem EU-Staat gegründete Gesellschaft in jedem Mitgliedstaat in die jeweiligen Firmenregister eingetragen werden muss. Dies führte dazu, dass in Österreich bereits mehrere hundert private limited companies (ltd’s) im Firmenbuch eingetragen wurden.

Nicht nur dies führte dazu, dass seit einiger Zeit in der EU die Einführung einer eigenen EU-Gesellschaftsform für kleinere und mittlere Unternehmen diskutiert wurde.

Europäische Privatgesellschaft

Die Vorschläge dieser neuen kleinen Gesellschaft (genannt Europäische Privatgesellschaft – EPG) sind nunmehr wesentlich konkreter geworden, nachdem in den vergangenen Monaten das Europäische Parlament die Initiative ergriffen hat und gewisse Eckpunkte bereits fixiert hat.

Aus den Misserfolgen der Europäischen Aktiengesellschaft hat man hierbei gelernt und geht nunmehr davon aus, dass die EPG im Verordnungswege durch die EU geregelt werden soll, d.h.,  die Rechtsvorschriften dürfen nicht mehr von den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden, sondern werden direkt von der EU geregelt. Es soll keinerlei Verweise auf nationale Rechte geben. Es wird ein so genanntes Vollstatut angestrebt, d.h.,  den Mitgliedstaaten kommt keinerlei Auslegungskompetenz mehr zu.

Folgende Bereiche sollen hier klar festgelegt werden:

Rechtsnatur, Rechts- und Handlungsfähigkeit, Gründung, Änderung des Gesellschaftsvertrags, Umwandlung und Auflösung, Firma, Organisationsverfassung und Vertretungsmacht der Organe, Erwerb und Verlust von Mitgliedschaft und die damit verbundenen Rechte und Pflichten, Haftung der Gesellschaft, der Geschäftsführer, der Mitglieder, ihrer Organe und der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft sowie Mindeststandards zu den Pflichten der Geschäftsführung gegenüber der Gesellschaft.

Die EPG soll entweder selbstständig gegründet werden können oder von einer bereits bestehenden Gesellschaft infolge einer Verschmelzung oder im Rahmen einer gemeinsamen Tochtergesellschaft gegründet werden. Das Mindestkapital der EPG soll € 10.000,00 (oder weniger) aufweisen, was jedoch nicht notwendigerweise einbezahlt sein müsste.

Die EPG soll zumindest über einen Geschäftsführer verfügen und zumindest über einen Gesellschafter. Eine grenzüberschreitende Gründung oder ein Konnex mit anderen europäischen Mitgliedstaaten ist nicht notwendig.

Die Vorschläge des Europäischen Parlaments an die Kommission sind diesbezüglich nunmehr bereits ergangen. Es wurden Aussendungen an die Mitgliedstaaten für Stellungnahmen abgegeben. Fest steht jedenfalls, dass über kurz oder lang eine derart neue Gesellschaftsform bei uns eingeführt wird. Nachdem diese Gesellschaftsform sich sehr stark an die angelsächsische Ltd. (private limited company) anlehnen wird, werden die Gründungsvoraussetzungen sicherlich wesentlich geringer sein als bei der österreichischen GmbH. Dies wird letztendlich dazu führen, dass entweder die österreichische GmbH mehr oder minder umstrukturiert in die EPG aufgehen wird oder letztendlich die „GmbH“ eine Gesellschaftsform darstellen wird, die nicht mehr verwendet wird. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die EPG mit ihrem sehr geringen Mindeststammkapital und der fehlenden Einzahlungsverpflichtung bei der Gründung in den direkten Verdrängungswettbewerb mit der GmbH treten wird.

Es ist aber angesichts der bisherigen Vorarbeiten davon auszugehen, dass diese EPG in nächster Zeit tatsächlich von der EU im Verordnungswege beschlossen wird.

Anglo-amerikanischer Ansatz – Mustervertrag per Gesetz

Unsere bisherigen gesellschaftsrechtlichen Vergaben müssen wir dann umstellen, da die EU den aus dem anglo-amerikanischen Bereich stammenden Ansatz übernommen hat, im Anhang zu den gesetzlichen Bestimmungen bereits einen Mustergesellschaftsvertrag vorzugeben. Dieser Mustergesellschaftsvertrag gilt immer dann, wenn keine anderen Regelungen getroffen werden (dispositive Bestimmungen). So sehr ein solches Muster im Einzelfall als „Gründungserleichterung“ empfunden werden mag, so kann es geeignet sein, dem rechtsunkundigen Gründer die Vorstellung von Rechtssicherheit zu suggerieren. Es wird zukünftig umso wichtiger sein, eine genaue Anpassung der Satzung (Gesellschaftsvertrag) an die jeweiligen Erfordernisse des Unternehmens zu machen und von diesem Mustergesellschaftsvertrag abzugehen, da ja dieses Muster abstrakt für alle Mitgliedstaaten erarbeitet wurde und auch viele Kompromisse enthalten sind, die im Einzelfall gar nicht praktikabel sind.

Letztendlich wird aber diese Gesellschaftsform im Gegensatz zu den bisherigen Versuchen zu einer Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts in Europa führen und ich traue mich zu sagen, dass, sollte die EU tatsächlich diese EPG im Verordnungswege beschließen, in einigen Jahren fast alle Neugründungen in Europa so genannte Europäische Privatgesellschaften sein werden. Zeitlich gehe ich davon aus, dass die Verordnung in zwei bis drei Jahren in Kraft treten kann.

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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