Wenn die Rede auf Konfliktlösung, Streitbeilegung oder ähnliches kommt, dann beherrscht das Modewort "MEDIATION" die Diskussion. Es begann, wie vieles, in Amerika, genauer gesagt in Kalifornien. Psychologen und Soziologen setzen sich wissenschaftlich damit auseinander, wie man Streitpartner dazu führen kann, ihre Probleme freiwillig, gemeinsam und ohne Hilfe der Gerichte zu lösen. Die sprichwörtliche Prozeßwut der Amerikaner und die bekannt horrenden Honorare der Anwälte begünstigten die Entwicklung.
Gewaltprinzip
In Urzeiten galt das nackte Recht des Stärkeren. Auseinandersetzungen wurden mit Gewalt, im Extremfall mit Mord und Totschlag gelöst. Die Einführung von Regeln, nach denen das Zusammenleben geordnet werden sollte, war eine zivilisatorische Großtat. Wir Juristen wissen, daß schon die Römer ein hochentwickeltes Rechtssystem benutzten. Erst mit der modernen Demokratie, die die Gleichheit aller Bürger zur Voraussetzung hat, entstand unser Rechtsstaat. Die Gesellschaft hat die Regelung von Konflikten an Institutionen (Gerichte, Behörden, etc.) delegiert. Es wurde nicht nur festgeschrieben, was Recht und Ordnung ist, sondern auch, wie dies durchgesetzt wird. Komplizierte Verfahrensregeln entstanden. Wer gegen Gesetz und Recht verstößt, der bekommt das Gewaltmonopol des Staates zu spüren, wird eingesperrt, in Exekution etc. etc. gezogen. Konflikte werden im Grunde immer noch mit Gewalt gelöst, da dies aber nach von vorn herein festgelegten Regeln geschieht und die Gewaltausübung an den (demokratischen) Staat delegiert worden ist, empfindet man diesen Vorgang als Gerechtigkeit. Die Mediation geht nun einen Schritt weiter: Ihr Ziel ist es, daß Parteien ihre Probleme selbst verantwortlich lösen und zwar ohne an Verfahrensregeln gebunden zu sein. Der Endpunkt ist eine juristisch haltbare Vereinbarung, die aber auf Konsens beruht und nicht etwa auf einem Richterspruch.
Die grundlegenden Prinzipien
- Freiwilligkeit
- Selbstbestimmung
- Vertraulichkeit
- Zukunftsorientierung
- Direkte Kommunikation
Während einer Mediation artikulieren beide Teile ihre Interessen und finden mit Hilfe einer dritten, neutralen Person - eine Lösung, die beiden Teilen gerecht wird. Es versteht sich von selbst, daß dieser Vorgang vertraulich abläuft, damit Außenstehende nicht störend in den Prozeß eingreifen können oder neue Wunden aufgerissen werden. Wichtig ist auch, daß sich die streitenden Aug in Aug gegenüber sitzen, wenngleich sie miteinander - zumindest am Anfang - nicht unbedingt kommunizieren müssen. Das kann über den Mediator geschehen. Dieser hat vor allem das Augenmerk der Betroffenen auf die Zukunft zu richten. Zwar muß und soll die Vergangenheit aufgearbeitet werden. Ist es geschehen, so geht es einzig und alleine darum, wie beide Teile natürlich unter Wahrung des rechtlichen Rahmens - eine haltbare Lösung für ihr weiteres Leben finden. In dem jeder Konfliktpartner zunächst ungestört seine subjektive Situation, seine Interessen und seine Lebensperspektive formuliert und der andere ihm - unter Hintanstellung von Aggressionen diszipliniert zuhört, kann schon die Tür für kooperative Verhandlungen geöffnet werden.
Fünf Phasen
Das Mediatonsverfahren selbst läuft dann in fünf Phasen ab:
- Erfassung der Ziele
- Themensammlung
- Bedürfnisse und Standpunkte klären
- gemeinsam kreativ nach Lösungen suchen
- Verbindliche Abmachung
Die Strukturierung der Gespräche im Sinne der obigen Punktation ist Sache des Mediators, der möglichst unaufdringlich die Einhaltung dieser Reihenfolge überwachen soll. Vordringlich hat er die Aufgabe, doch noch vorhandene Gemeinsamkeiten aufzuspüren, um dem Trennenden aus der Vergangenheit die Schärfe zu nehmen. Es gibt mittlerweile (psychologisch und rechtlich) geschulte, staatliche Mediatoren, die ihre Ausbildung und Lebenserfahrung besonders bei der kreativen Suche nach Lösungen einbringen können. Dabei soll, wie erwähnt, sehr behutsam vorgegangen werden und den Parteien Zeit zur Verarbeitung traumatischer Erlebnisse gelassen werden. Man spricht von einer "Produktivität der Langsamkeit". Ist das Werk geschafft (was natürlich nicht immer gelingt) und wird eine Vereinbarung abgeschlossen, dann hat sie den unschätzbaren Vorteil, daß sie beiden Teilen, weil freiwillig getroffen, den Weg in die Zukunft ebnet und die Vergangenheit bewältigt worden ist. Von Gerichtsurteilen kann man das nicht immer sagen. Das Gericht trifft, meist nach aufwühlenden Verhandlungstagen, Feststellungen und Bewertungen, die den tatsächlich oder scheinbar Unterlegenen oft aufs neue aufwühlen; der Konflikt wird bisweilen weiter angeheizt und nur scheinbar (eben mit dem staatlichen Gewaltsmonopol) gelöst. Aus Presseberichten kennen wir zu Hauf die daraus resultierenden Tragödien.
Arten
Man unterscheidet im wesentlichen zwei Arten von Mediation. Das eine ist jene, die in familiären Streitigkeiten angewendet wird. Sie war der Ursprung des Mediationsgedankens. Die bisher üblichen, schmerzlichen Prozesse der Scheidung, der Vermögensteilung oder der Regelung des Sorgerechtes, bei denen durch "juristische Lösungen" oft das ganze Vermögen an Prozeßkosten aufging, waren der Nährboden für Mediation. Sie ist heute noch das Hauptanwendungsgebiet.
Mittlerweile gibt es aber auch die sogenannte Wirtschaftsmediation. Auch sie begann in Amerika. In den Chefetagen großer Firmen kam man zunehmens zur Auffassung, daß die prozessuale Lösung von Streitigkeiten mit Konkurrenten höchst unproduktiv ist. Man suchte nach gemeinsamen Interessen und Synergieaffekten. Nicht selten standen am Beginn großer Firmenzusammenschlüsse Konfliktsituationen. Ein gutes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist der zunächst verbissen geführte Kampf der Automobilproduzenten VW und BMW um die englische Nobelfirma Rolls Royce. Nach der Entscheidung (zugunsten von VW) stellte sich heraus, daß Namenrechte ungeklärt waren und ein Liefervertrag für BMW bestand. Die darauf folgenden Verhandlungen von Managern und Anwälten führten nicht etwa zu einem Rachefeldzug. Vielmehr wurde eine weitreichende Kooperation vereinbart, die möglicherweise sogar in einer Fusion mündet.
Der Anwalt als Mediator
Nach der gängigen Vorstellung vom Anwalt, müßte dieser für Mediation gänzlich ungeeignet sein. Man erinnert sich an Horrormeldungen, daß nach jahrelangen Scheidungsverfahren die Anwaltskosten die Klienten endgültig in den Ruin, bisweilen sogar in den Tod getrieben haben. Der amerikanische Anwalt und weltbekannte Sportpromotor Mc Cormack schrieb einmal: "Anwälte sind dazu ausgebildet und darauf programmiert, Differenzen mit juristischen Mitteln zu bereinigen. Das ist nicht nur einfach ihr Beruf und Lebensunterhalt. Es ist vielmehr die Brille, durch die sie die Welt betrachten. Sie können nicht erwarten, daß ein Anwalt einen Fall, den er voraussichtlich gewinnen kann, aufgibt. Die schreckliche Wahrheit ist, sie können von einem Anwalt nicht erwarten, daß er kein Anwalt ist. Anwälte neigen zu der Meinung sie seien - wie Dobermänner - in die Welt gesetzt, um die Zähne zu fletschen. Während ihrer Ausbildung hat man ihnen die Überzeugung eingeimpft, daß ihre Herren und Meister genau das wollen!' Dies ist, wenn auch pointiert formuliert genau das Bild, daß ein Großteil der Bevölkerung von unserem Berufsstand hat. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus.
Vertragsanwalt
In Anwaltskreisen gilt gerade jener Kollege als höchst angesehen (und er verdient wahrscheinlich auch am meisten), den man als sogenannten Außerstreit- oder Vertragsanwalt bezeichnen kann. Die Vertreter dieser Gilde tauchen freilich selten in der Öffentlichkeit auf. Sie liefern keine Schlagzeilen. In Wirklichkeit betreiben sie aber das, was die Wissenschaft unter Konfliktbewältigung, neudeutsch als "Wirtschaftsmediation" bezeichnen würde. Selbst der Gesetzgeber hat schon vor langer Zeit erkannt, daß die Konfliktregelung durch das staatliche Gewaltmonopol nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Nicht umsonst gibt es vor Beginn der Scheidungsverhandlung verpflichtend den sogenannten "Sühne versuch", den lebenserfahrene Richter und vernünftige Anwälte oft genug zur außergerichtlichen Bereinigung genutzt haben.
Medien
Da die Medien aber weiterhin nur über Anwälte berichten werden, die in spektakulären Prozessen ihren großen, polemischen Auftritte haben, wird der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sein, daß der beste Mediator der Anwalt ist, der die wirklichen Interessen seines Mandanten vertritt und im Prozeß nur den allerletzten Ausweg sieht (der freilich bisweilen nicht zu vermeiden ist). Vertrags-, Wirtschafts- oder Außerstreitanwälte haben gegenüber anderen Mediatoren den Vorteil, daß sie die rechtlichen Grenzen der Verhandlungsmöglichkeiten, die Fährnisse von Prozessen, die Unsicherheiten von Beweisaufnahmen und die rechtlichen Klippen bei streitigen Auseinandersetzungen genauestens kennen. Wenn zwei solche Anwälte aufeinander treffen, so kann man sicher sein, daß eine Mediation allererster Güteklasse abläuft, die zu einer Vereinbarung führt, welche die Basis für die Zukunft der Klienten darstellen kann. Ein Gutteil der (internationalen) Firmenkooperationen/Zusammenschlüsse entsteht nicht zuletzt aus Konfliktlagen. Anstatt zu prozessieren, setzten sich die Anwälte und Manager zusammen und suchen nach Synergien, die gleichzeitig das Problem aus der Welt schaffen.
Resümee
Verdienst der neuen Bewegung mit dem Namen "Mediation" ist die wissenschaftliche Durchdringung dieser besonderen Art der Konfliktlösung. Soziologen und Psychologen haben die ablaufenden Vorgänge analysiert und katalogisiert. Es gibt bereits eine unübersehbare Zahl von Literatur und Gebrauchsanweisungen. Für den erfahrenen Außerstreitanwalt ergibt sich in der Sache zwar nichts Neues, es ist aber nicht zu leugnen, daß gewisse Anleitungen und Richtlinien sehr nützlich sind und auch aufgegriffen werden.