Herr Mag. Alexander Wolf, geb. am 27.05.1969 in Bregenz hat außerordentlichen Präsenzdienst auf den Golanhöhen geleistet und war nach seinem rechtswissenschaftlichem Studium Mitarbeiter des Landesvolksanwaltes. Seit 2000 ist er nun der Vorarlberger Patientenanwalt.
Mag. Patrick Piccolruaz hat ihn in seinem Büro in Feldkirch Marktstraße 8 besucht und mit ihm ein Gespräch geführt, dass wir nachfolgend wiedergeben.
P&M: Die Patientenanwaltschaft ist als Verein organisiert. Wer sind die Vereinsmitglieder und die maßgeblichen Organe?
Wir haben 14 Vereinsmitglieder, darunter Ärzte, Anwälte und einen Notar. Obmann des Vorstandes ist der Feldkircher Anwalt, Dr. Wolfgang Blum.
P&M: Wie hoch ist das jährliche Budget, wer bedeckt es und wie viele Mitarbeiter beschäftigt die Patientenanwaltschaft?
Unser Budget beträgt jährlich ca. € 200.000,00. Neben mir ist noch eine Sekretärin beschäftigt. Wir geben unseren Arbeitsaufwand detailliert dem Land bekannt, welches dann die entsprechenden Zahlungen leistet. Das Land wiederum überwälzt die Summe auf die Institute, denen unsere Arbeit gegolten hat.
P&M: Gibt es immer noch eine große Scheu in der Bevölkerung gegen Ärzte Ansprüche zu stellen? Die Patientenanwaltschaft dürfte wohl auch zu dem Zweck gegründet worden sein, diese abzubauen. P&M: Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich?
Die Scheu besteht immer noch. Auch habe ich die Erfahrung gemacht, dass es einen Unterschied zwischen der ländlichen und städtischen Bevölkerung gibt. In der Stadt ist die Scheu nicht so groß.
P&M: Und wird schneller abgebaut als auf dem Land?
Ja, nur etwa 7% der Beschwerdefälle stammen zB aus dem Bezirk Bludenz, dH dieser Bezirk ist deutlich unterrepräsentiert.
„Die Scheu Ansprüche zu stellen ist in ländlichen Gebieten sehr groß. Nur 7% der Beschwerdefälle stammen aus dem Bezirk Bludenz.“
P&M: Der Erfolg Ihres Instituts hängt nicht nur von der Akzeptanz in der Bevölkerung sondern wohl auch vom Bekanntheitsgrad ab. Machen Sie Öffentlichkeitsarbeit?
Unsere Öffentlichkeitsarbeit ist nicht frei von Widerständen abgelaufen. Manchmal wurde uns unterstellt, dass wir geradezu zu Beschwerden aufrufen bzw. animieren. Wir machen einmal im Monat eine Kolumne in den VN, Weitergehendes haben wir aus den oben beschriebenen Gründen unterlassen. Ich glaube, dass uns nicht mehr als 10% der Bevölkerung kennen. Derzeit wird eine Untersuchung zu dieser Frage gemacht. Unsere Öffentlichkeitsarbeit dient in erster Linie dem Zweck die Beschwerdebarrieren, die ich vorhin beschrieben habe, herabsetzten. Sie ist aber teilweise, wie gesagt, missverstanden worden.
P&M: Wie viele Fälle pro Jahr werden an Sie herangetragen und wie werden sie erledigt?
Im Gründungsjahr 2000 hatten wir ca. 150 Akten, 2002 180, 2003 220 und 2004 270. Dies bedeutet aber nicht, dass die Zahl von Behandlungsfehlern zugenommen hat, sondern dass sich ein größerer Prozentsatz Betroffener an uns wendet. Ich schätze, dass in unserem Einflussbereich jährlich ca. 400 - 500 Behandlungsfehler passieren. Es sind eher mehr als weniger. Genaue Zahlen gibt es natürlich nicht. Wir haben bisher Entschädigungen in der Höhe von ca. € 1,3 Mio. für die Patienten erwirken können, wovon 1,0 Mio. von Versicherungen bezahlt wurden, der Rest aus dem Entschädigungsmodell. Aus unserer Statistik ergibt sich, dass etwa die Hälfte der Beschwerden unbegründet sind. Jene Fälle, die wir weiter verfolgen, können wir zu 90% selbst erledigen, nur etwa 10% werden strittig, dH Anwälten übergeben.
„Im Jahr 2000 hatten wir 150 Beschwerdefälle, 2004 waren es 270.“
P&M: Auf welche Art nehmen Patienten vorwiegend mit Ihnen Kontakt auf?
Erste Anlaufstelle sollten eigentlich die in den Krankenhäusern eingerichteten Beschwerdestellen sein. Ich halte es für problematisch, dass in einigen Anstalten der Verwaltungsdirektor die Ansprechperson ist. Über diesen Weg werden uns nur sehr wenige Fälle zugeführt. Der weit überwiegende Teil wird über Mundpropaganda, Internet oder die VN-Kolumne auf uns aufmerksam. Gelegentlich schickt uns auch die Arbeiterkammer oder das Ifs Patienten.
P&M: Die Bestellung eines Gutachters ist nach unseren Erfahrungen ein heikles Problem, weil Patienten glauben, diese würden sich mit dem Ärztestand solidarisieren. Wie geht dass bei Ihnen vor sich?
Die Patientenanstalten aller Bundesländer haben sich zusammengeschlossen und eine eigene Liste hochqualifizierter Gutachter erstellt, die selbstverständlich alle gerichtlich beeidigt sind. Bei uns steht ihr Ruf außer Zweife,l auch teilen wir dies den Patienten mit. Es kommt aber weiterhin vor, das diese negativ reagieren, wenn das Gutachten nicht so ausfällt wie sie es erwartet haben. Andererseits habe ich es schon mehrfach erlebt, dass die Gutachten von den betroffenen Ärzten angezweifelt worden sind, was meist zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führt.
„In den letzten vier Jahren sind ca. € 1,2 Mio. an Entschädigungen ausbezahlt worden.“
P&M: Was passiert, wenn Sie keine Einigung herbeiführen können?
Zunächst kann die Schiedskommission eingeschaltet werden. Es müssen aber beide Parteien einverstanden sein. Es findet dann eine formlose Verhandlung statt, bei der auf der einen Seite der Patient und der Patientenanwalt oder ein gewählter Vertreter sitzt und auf der anderen Seite die Versicherung, der Arzt und jedenfalls auch der Rechtsträger. Etwa 4-5 Fälle jährlich gelangen an die Kommission. Wenn es dort zu keiner Einigung zwischen den Parteien kommt, ist sie zu einer schriftlichen Erledigung verpflichtet. Diese stellt dann ein Gutachten dar, dH es wird die Meinung der Kommission festgehalten und auch, ob und welche Entschädigung zu bezahlen wäre. Oft finden auch noch danach Gespräche statt. Das Verfahren ist kostenfrei. Erst wenn alle Versuche gescheitert sind, wird ein Anwalt eingeschaltet.
P&M: Wie setzt sich die Schiedskommission zusammen?
Der Vorsitzende ist ein Richter und sein Stellvertreter. Eine Beisitzerin ist ärztliche Gutachterin, die zweite wird vom Institut für Gesundheit und Krankenpflege entsandt.
P&M: Stehen die Gutachten, die der Patientenanwalt einholt, dem betroffenen Patienten allenfalls für ein Gerichtsverfahren zur Verfügung?
Selbstverständlich, der Patient erhält nicht nur die Gutachten, sondern, wenn er es wünscht, den gesamten Akt. Ich bin auch bereit, mit dem Anwalt, der die Sache weiterverfolgt, ein Gespräch zu führen.
P&M: Spielt es für die Vergleichsbereitschaft eine Rolle, ob der Patient für einen allfälligen Prozess rechtsschutzversichert ist?
Es spielt sogar eine sehr große Rolle. Die Versicherungen wissen dann, dass den Beschwerdeführer kein Prozessrisiko trifft und daher viel eher geneigt sein wird, die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen.
P&M: An welche besonders schwerwiegenden Fälle können Sie sich erinnern?
In einem Fall wurde ein Patient mit einem Bandscheibenvorfall und beginnenden Lähmungen erst nach 12 Stunden genauer untersucht. Dies führte zur Lähmung aller Funktionen des Körpers vom Brustkorb abwärts. Es konnte keine vergleichsweise Regelung erzielt werden und ich muss sagen, dass mir eine gerichtliche Entscheidung in dieser Sache im Interesse des Patienten doch lieber ist.
Eine Patientin war zu Hause gestürzt und hatte ein Hirnhämatom erlitten, wurde ins Krankenhaus gebracht und ist dort nochmals gestürzt. Sie liegt nunmehr in einem Wachkoma und nimmt die Umwelt nicht mehr war. Der Zustand wird sich nicht mehr ändern. Auf Grund von Gutachtern haben wir nachgewiesen, dass man diese Frau im Krankenhaus nicht alleine lassen hätte dürfen. Die Patientin erhält einen Betrag von € 250.000,00, außerdem werden sämtliche zukünftige Pflegekosten ersetzt.
Nach einer Blinddarmoperation war in einem dritten Fall die Naht wieder aufgegangen. Daraus ist eine Bauchhöhlenentzündung entstanden. Der Betreffende musste längere Zeit auf der Intensivstation behandelt werden. Obwohl Dauerfolgen nicht ausgeschlossen werden konnten, wollte der Patient unbedingt eine Pauschalentschädigung. Er erhielt € 78.000,00.
Zum Schluss noch ein Kuriosum: Zu unseren Mandanten zählt auch ein Arzt. Von ihm habe ich erfahren, dass er von seinen Kollegen scheel angesehen worden ist und man ihn verwundert gefragt hat, wie es sich dazu entschließen habe können, über die Patientenanwaltschaft eine Entschädigung zu verlangen.
P&M: Sind Ihnen schon Fälle von „Organisationsverschulden" untergekommen?
Bei einem Schwerpunktkrankenhaus besteht die Verpflichtung eine Rufbereitschaft aufzubauen und zwar auch bei jenen Abteilungen, die keine ständige Besetzung haben, zB in der Kieferchirurgie. Außerhalb der geregelten Arbeitszeit hätte ein Kind behandelt werden müssen, weil ein zweiter Zahn herausgebrochen ist. Dies kann nur innerhalb einer bestimmten Zeit erfolgreich geschehen (Reimplantierung). Die Abteilung war an einem Wochenende unbesetzt, es gab keine Rufbereitschaft, einen niedergelassenen Chirurgen konnte man ebenfalls nicht erreichen. Die rechtzeitige Behandlung wurde versäumt. Ich gehe davon aus, dass in diesem Falle eine Entschädigung geleistet wird.
Eine weitere Verpflichtung von Krankenanstalten ist es, Geräte in periodischen Abständen zu warten. In einem Krankenhaus war eine Zange gebrochen und bezüglich der Wartung konnten keinerlei Unterlagen vorgelegt werden. Wenn die Wartung nicht lückenlos dokumentiert wird, so liegt ein Organisationsverschulden vor, das die Anstalt zur Entschädigung verpflichtet.
„Ich halte es für problematisch, dass in einigen Krankenhäusern der Direktor die Beschwerdestelle ist.“
Sehr schwierig sind Haftungen nach dem Produkthaftpflichtgesetz durchzusetzen. Meist sind die schlussendlich haftenden Firmen im Ausland, gar in Übersee. Auch die Beweisführung ist mühsam. Selten kommt es deshalb zu außergerichtlichen Regelungen. In einem Fall gelang dies allerdings. Ein schadhafter Herzschrittmacher versetzte dem Patienten Schläge, dass er zu Boden ging. Die Erzeugerfirma startete eine Rückholaktion, sodass an ihrer Entschädigungspflicht keine Zweifel bestand.
P&M: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit unserem Berufsstand, der Rechtsanwaltschaft?
Unser Institut wurde anfänglich mit Skepsis betrachtet. Es wurde vermutet, dass wir eine Konkurrenz für den Anwaltsstand sind. Wir übergeben Fälle, die nicht erledigt werden können an jenen Anwalt, den der Patient wünscht. In anderen Fällen arbeiten wir in jedem Bezirk mit einem Anwaltsbüro zusammen. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Anwälte die von uns erbrachten Vorleistungen durchaus schätzen und zum Wohle ihrer Mandanten weiter verwenden.
P&M: Wir danken für das Gespräch.