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20. Sep. 2021

Gravierender Lieferverzug - Rücktritt ohne Nachfrist

Nach dem UN-Kaufrecht kann der Käufer im Fall eines Lieferverzugs die Vertragsaufhebung verlangen, wenn er dem Verkäufer eine Nachfrist mit dem Ziel der Vertragsaufhebung setzt, oder (auch ohne Mahnung oder Nachfristsetzung) wenn die Überschreitung der Lieferfrist eine wesentliche Vertragsverletzung begründet. Dies ist der Fall, wenn der vereinbarte Liefertermin bereits länger zurückliegt und von einer angemessenen Nachlieferungsmöglichkeit nicht mehr ausgegangen werden kann.

Die Streitteile schlossen im Mai 2017 einen Kaufvertrag über ein von der Beklagten an die Klägerin zu lieferndes Kraftfahrzeug der Marke Mercedes Maibach zum Kaufpreis von 925.000 EUR. Dazu leistete die Klägerin die vereinbarte Anzahlung in Höhe von 370.000 EUR; die Lieferung des Fahrzeugs sollte bis Ende September 2017 erfolgen. Weder zum erwähnten Liefertermin noch zu einem späteren Zeitpunkt konnte die Beklagte das Fahrzeug liefern.

Die Klägerin begehrte die Rückzahlung ihrer Anzahlung. Die Beklagte könne das bestellte Fahrzeug nicht liefern; ein Festhalten am Vertrag sei für die Klägerin unzumutbar.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof stellte das stattgebende Urteil des Erstgerichts wieder her. Dazu wurde ausgeführt:

Im Anlassfall ist fraglich, ob die Klägerin mit ihrer Klage eine Aufhebungserklärung (Rücktrittserklärung) abgegeben hat, sowie ob die Vertragsaufhebung nach Art 49 CISG (= UN-Kaufrecht) berechtigt und die Beklagte daher zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet ist.

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Vertragsaufhebung durch eine vom vertragstreuen Teil an den Vertragspartner gerichtete einseitige Erklärung geltend zu machen ist, die an keine bestimmte Form gebunden ist. Für das Vorliegen einer Aufhebungserklärung ist maßgebend, dass aus dieser eindeutig hervorgeht, dass der Käufer die Vertragserfüllung ablehnt. Zudem ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine solche Vertragsaufhebungserklärung auch im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts mit der Klage erklärt werden kann. Hier hat die Klägerin in ihrer Rückzahlungsklage mehrfach zum Ausdruck gelangt, dass sie am Kaufvertrag nicht mehr festhalten will.

Liefert der Verkäufer die Ware nicht rechtzeitig, so ist der Käufer nach dem UN-Kaufrecht berechtigt, auf Lieferung zu klagen (Art 46) oder eine Nachfrist (Art 47) mit dem Ziel der Vertragsaufhebung zu setzen (Art 49 Abs 1 lit b). Darüber hinaus kann der Käufer auch ohne Mahnung oder Nachfristsetzung und auch unabhängig von einem Verschulden des Verkäufers direkt die Vertragsaufhebung erklären, wenn die Überschreitung der Lieferfrist eine wesentliche Vertragsverletzung (Art 25) begründet (Art 49 Abs 1 lit a). Durch die Vertragsaufhebung werden die ursprünglichen vertraglichen Verpflichtungen der Vertragsparteien vollständig beseitigt. Eine sofortige Vertragsaufhebung ist also nur dann gerechtfertigt, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. Die Überschreitung eines Liefertermins stellt im Allgemeinen noch keine wesentliche Vertragsverletzung dar. Anderes gilt aber dann, wenn ein Fixgeschäft vereinbart wurde, oder wenn – wie hier – der vereinbarte Liefertermin bereits länger zurückliegt und von einer angemessenen Nachlieferungsmöglichkeit nicht mehr ausgegangen werden kann. Der Klägerin steht daher der geltend gemachte vertragliche Rückabwicklungsanspruch zu, weshalb die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung verpflichtet ist.

OGH | 4 Ob 110/19h 

(obiger Text entstammt teilweise oder gänzlich aus der vom OGH veröffentlichten Entscheidungs-Kurzfassung)

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