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20. Okt. 2011

Vergaberecht: Geld für übergangene Bieter

Öffentliche Auftraggeber haften auch ohne schuldhaftes Verhalten für vergaberechtswidrige Entscheidungen
Wer sich zu Unrecht übergangen fühlt, hat infolge eines OGH-Urteils nun höhere Chancen auf Schadenersatz.
Nach der bisherigen Rechtslage im Vergaberecht hat der zu Unrecht übergangene Best- oder Billigstbieter nur bei schuldhafter Verletzung des Bundesvergabegesetzes Anspruch auf Schadenersatz. Voraussetzung für den Schadenersatzanspruch war bisher immer das Verschulden des Auftraggebers am Vergabeverstoß.

Allerdings hat der Oberste Gerichtshof nun auf Grundlage einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, das einen österreichischen Fall betraf ("Stadt Graz / Strabag AG" vom 30. 9. 2010, C-314/09), entschieden, dass öffentliche Auftraggeber für Vergabeverstöße entgegen dem geltenden Bundesvergabegesetz, das ausdrücklich auf ein schuldhaftes Verhalten abstellt, verschuldensunabhängig haften. Die Haftung besteht unabhängig davon, wie schwer der Vergabeverstoß ist.

Bemerkenswert ist, dass die Entscheidung weder eine gesetzliche Grundlage im geltenden Bundesvergabegesetz noch im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch hat. Trotzdem müssen alle österreichischen Gerichte seit dieser Entscheidung bei der Beurteilung von Schadenersatzansprüchen infolge Vergabeverstöße öffentlicher Auftraggeber die derzeit geltenden Gesetzesbestimmungen unangewendet lassen.

Erfolgreiche Beschwerde
Die Entscheidung des OGH (OGH 17. 11. 2010, 6 Ob 208/10x) ist etwa für folgende - in der Praxis häufig vorkommende - Konstellation von Bedeutung: Ein an zweiter Stelle gereihter Bieter leitet gegen die Zuschlagsentscheidung ein Nachprüfungsverfahren ein. Die Nachprüfungsbehörde folgt dem Antrag des Bieters nicht und weist ihn ab.
Der Auftraggeber erteilt aus diesem Grund den Zuschlag an den seiner Meinung nach rechtmäßigen Best- bzw. Billigstbieter. Der unterlegene Bieter bekämpft den Bescheid der Nachprüfungsbehörde erfolgreich vor dem Verwaltungsgerichtshof. In diesem Fall hat der Bieter nunmehr nach Durchführung eines Feststellungsverfahrens vor der Nachprüfungsbehörde erster Instanz einen vom Verschulden des öffentlichen Auftraggebers unabhängigen Schadenersatzanspruch, den er vor den Zivilgerichten geltend machen kann.

In künftigen Schadenersatzprozessen infolge Vergabeverstöße ist daher die Frage des Verschuldens nicht weiter zu prüfen, was die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erheblich erleichtert. Übergangene Best- oder Billigbieter können sich auf den Nachweis des Schadens sowie auf die Kausalität des rechtswidrigen Verstoßes gegen vergaberechtliche Vorschriften beschränken.

Gewinnentgang als Schaden
Der Bieter muss beweisen, dass ihm bei vergaberechtskonformem Vorgehen des Auftraggebers der Zuschlag erteilt hätte werden müssen. Gelingt dieser Beweis, lässt sich in der Regel auch der dadurch entstandene Schaden leicht nachweisen. Als Schaden kann unter anderem der entgangene Gewinn aus dem konkreten Auftrag geltend gemacht werden. Insbesondere bei großen öffentlichen Aufträgen kann dieser Schadenersatzanspruch schnell in den sechsstelligen Eurobereich gehen.

Wesentlich ist, dass der öffentliche Auftraggeber auch dann schadenersatzpflichtig wird, wenn er sich z. B. bei seiner Zuschlagsentscheidung auf bestehende Rechtsprechung stützt und der VwGH in der Folge von dieser Rechtsprechung abgeht und anders entscheidet. Der öffentliche Auftraggeber hat sich zwar zum Zeitpunkt seiner Entscheidung an bestehende Rechtsprechung gehalten, wird aber trotzdem nachträglich schadenersatzpflichtig. Er kann daher, auch wenn er im Vergabeverfahren einen sehr hohen Sorgfaltsmaßstab angewendet hat, aus für ihn unvorhersehbaren Gründen schadenersatzpflichtig werden.

Höhere Sorgfalt
Die Entscheidung des OGH bringt mit sich, dass sich der für öffentliche Auftraggeber sowie dessen Erfüllungsgehilfen - z. B. ein mit der Prüfung der Angebote betrauter Ziviltechniker - und auch der für die Vergabekontrollbehörden geltende Sorgfaltsmaßstab erheblich erhöht. Gleichzeitig wird es für Bieter in Zukunft interessanter, Entscheidungen der Nachprüfungsbehörden mittels Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu bekämpfen, da im Fall einer erfolgreichen Beschwerde Schadenersatzansprüche leichter durchsetzbar sind.

"Geld ohne Auftrag" muss daher in Zukunft nicht mehr ein Widerspruch in sich sein, sondern kann für übergangene Bieter zur Realität werden. 

Dr. Stefan Müller

Kategorien: Sonstiges

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