Der Verfassungsgerichtshof ((VfGH 1.12.2012, B 567/11 ua) hat sich in einer Entscheidung auf Artikel 2 der europäischen Menschenrechtskonvention berufen und festgestellt, dass es eine unabweisbare Verpflichtung jeden Staates sei, Personen auf seinem Territorium vor Lebensbedrohung zu schützen. Diese positive Schutzpflicht des Staates habe allerdings zur Vorrausetzung, dass die Behörden von einer Lebensbedrohung wussten bzw. hätten wissen müssen. Vor diesem Hintergrund sei in einem neuerlich durchzuführenden Verfahren zu beurteilen ob in gegenständlichem Fall der Staat – unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – seine Verpflichtungen entsprochen habe.
Positive Schutzverpflichtung
Art 2 EMRK (Recht auf Leben) beinhaltet (auch) die positive Verpflichtung von Behörden, präventive Maßnahmen zum Schutz solcher Personen zu setzen, deren Leben durch kriminelle Handlungen Dritter gefährdet werden könnte. Eine Verletzung des Art 2 EMRK liegt dann vor, wenn die Personen wussten oder hätten wissen müssen und dennoch nicht alles getan haben, was vernünftigerweise hätte erwartet werden können. Dass der in seinem Leben Bedrohte die Behörden allenfalls nicht oder nicht persönlich um Schutz ersucht hat, entbindet die Behörden dabei nicht von ihren Verpflichtungen, Maßnahmen zum Lebensschutz zu setzen.
Dr. Petra Piccolruaz, Rechtsanwältin in Bludenz