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11. Mai. 2017

Kaufabsicht für Haftung des Ladeninhabers nicht erforderlich

Die Kontaktaufnahme mit einem Unternehmer zu „geschäftlichen Zwecken“ als Voraussetzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses erfolgt bereits dann, wenn ein (potentieller) Kunde dessen Geschäft aufsucht, um sich über das Produktangebot zu informieren und Preisvergleiche anzustellen. Einer konkreten Kaufabsicht bereits in diesem Zeitpunkt bedarf es nicht.

Die Klägerin suchte eine Baumarktfiliale der beklagten Partei auf, um sich in der Lampenabteilung informieren und verschiedene Angebote erklären zu lassen. Sie hatte – bevor sie die Filiale betrat – keine Kaufabsicht und kaufte auch nichts. Einer Kundin war dort im Kassenbereich ein Plastikbehälter mit grellrosa Farbe zu Boden gefallen, wodurch sich ein eher runder Farbfleck mit einem Durchmesser von ca. 15 cm gebildet hatte. Eine Kassierin, die diesen Vorfall bemerkt hatte, verständigte umgehend Mitarbeiter aus der Farbabteilung. Es dauerte etwa fünf Minuten, ehe solche Mitarbeiter zur provisorischen Absicherung des Farbflecks zum Kassenbereich kamen. Währenddessen waren zwei Kassierinnen und eine Mitarbeiterin der Informationsabteilung im Bereich der späteren Unfallstelle. Die Klägerin näherte sich zu einem „zum Hinunterfallen des Farbtopfes“ nicht genau feststellbaren Zeitpunkt im schnellen Schritt dem Ausgangsbereich, ohne auf die Wegstrecke vor ihr besonders zu achten. Jener Kassierin, die zuvor die Mitarbeiter aus der Farbabteilung verständigt hatte, fiel das schnelle Gehtempo der Klägerin auf, weshalb sie diese mit einem Ruf „Vorsicht!“ oder Ähnlichem warnen wollte. Die Klägerin überhörte den Warnruf. Sie hatte sich umgedreht, weil sie eine aufgeregte Diskussion hinter sich zu hören glaubte, und stieg in der Folge mit der linken Ferse in den Farbfleck. Sie rutschte weg und kam zu Sturz.

Die Klägerin begehrte EUR 12.604,92 sA an Schadenersatz. Sie brachte vor, dass die beklagte Partei ihren Verkehrssicherungspflichten nicht nachgekommen sei. Diese hafte überdies wegen Verletzung vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten. Das Bestehen solcher Pflichten setze einen Kaufabschluss oder eine Kaufabsicht nicht voraus.

Die beklagte Partei wendete auch ein, die Klägerin sei nicht „Kundin“ der beklagten Partei gewesen, sondern im Geschäftslokal herumgegangen, ohne etwas zu kaufen. Deshalb könne die Haftung der beklagten Partei nicht auf ein vorvertragliches Schuldverhältnis gestützt werden.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehe. Im Übrigen wies es einen Teilbetrag des Klagebegehrens von EUR 6.302,46 sA rechtskräftig ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge. Er führte aus, das vorvertragliche Schuldverhältnis bestehe unabhängig davon, ob es später zu einem Vertragsabschluss komme. Werde der in Aussicht genommene Vertrag nicht geschlossen oder gelte er als nicht zustande gekommen, so seien insbesondere Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten wahrzunehmen. Solche vorvertraglichen Pflichten bestünden gegenüber jedermann, mit dem der Handelnde künftig in geschäftlichen Kontakt treten wolle. „Jedermann“ sei zwar nicht jede beliebige Person, aber immerhin jeder potentielle Vertragspartner. Somit treffe den Inhaber eines Geschäfts gegenüber einer Person, die das Geschäft in Kaufabsicht betrete, die vorvertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen. Eine „Kaufabsicht“ des Kunden sei dafür keine unabdingbare Voraussetzung. Die Klägerin habe den Baumarkt der beklagten Partei in der Absicht betreten, sich in der Lampenabteilung informieren und verschiedene Angebote erklären zu lassen. Die Einholung von Informationen zum Produkt- und Preisvergleich sei ein typisches Kundenverhalten, mit dem die Inhaber von Baumärkten rechnen und dem sie durch die Beschäftigung geschulter Kundenberater auch Rechnung tragen. Im Licht dieser Gründe gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem im Leitsatz zusammengefassten Ergebnis.

OGH | 1 Ob 112/05k

 

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