Wenn festgestellt worden ist, dass die Geschäftspraxis eines
Unternehmers als „ irreführend“ eingestuft wird, dann braucht nicht zusätzlich
geprüft werden, ob dies auch eine Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflicht
darstellt. Im Gegenteil, eine solche irreführende Praxis stellt automatisch
eine Verletzung beruflicher Sorgfaltspflicht dar.
In seinen Entscheidungsgründen weist der EuGH - nach Darstellung seiner
bisherigen Rsp - va darauf hin, dass die in Art 6 Abs 1 RL 2005/29/EG
aufgeführten Tatbestandsmerkmale einer irreführenden Geschäftspraxis im
Wesentlichen aus der Sicht des Verbrauchers als des Adressaten unlauterer
Geschäftspraktiken konzipiert sind und im Wesentlichen der zweiten eine
derartige Praxis charakterisierenden Voraussetzung entsprechen, wie sie in Art
5 Abs 2 Buchst b RL 2005/29/EG genannt ist. Keine Erwähnung finde in Art 6 Abs
1 RL 2005/29/EG hingegen die in Art 5 Abs 2 Buchst a RL 2005/29/EG enthaltene
Voraussetzung, dass die Praxis den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt
widerspricht; diese Voraussetzung ist - so der EuGH - der Sphäre des
Unternehmers zuzurechnen.
Demnach sei in Anbetracht sowohl des Wortlauts als auch der Struktur
der Art 5 und 6 Abs 1 RL 2005/29/EG sowie deren allgemeiner Systematik eine
Geschäftspraxis als „irreführend“ iSd 6 Abs 1 RL 2005/29/EG anzusehen, wenn die
dort aufgeführten Kriterien erfüllt sind, ohne dass zu prüfen wäre, ob auch die
in Art 5 Abs 2 Buchst a RL 2005/29/EG aufgestellte Voraussetzung erfüllt ist,
wonach diese Praxis den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht.
Nur eine solche Auslegung ist nach Ansicht des EuGH geeignet, die
praktische Wirksamkeit der spezielleren Regeln in den Art 6 bis 9 RL 2005/29/EG
zu wahren. Stimmten nämlich die Voraussetzungen für ihre Anwendung mit den in
Art 5 Abs 2 RL 2005/29/EG genannten überein, wären diese Artikel praktisch
bedeutungslos, obwohl sie dazu dienen, den Verbraucher vor den am häufigsten
anzutreffenden unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen.
Für diese Auslegung spreche zudem das mit der RL über unlautere
Geschäftspraktiken verfolgte Ziel, durch eine vollständige Harmonisierung der
Regeln über unlautere Geschäftspraktiken, einschließlich der unlauteren Werbung
von Unternehmen gegenüber Verbrauchern, ein hohes gemeinsames
Verbraucherschutzniveau zu erreichen: Eine solche Auslegung sei nämlich
geeignet, die effektive Anwendung von Art 6 Abs 1 RL 2005/29/EG in einem für
die Interessen der Verbraucher günstigen Sinne zu erleichtern, an die sich ja
eine falsche Information in Werbebroschüren eines Gewerbetreibenden richtet
(EuGH 19. 9. 2013, C-435/11, CHS Tour Services).