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28. Nov. 2011

Anleitung zum Verpfeifen

Whistle-Blowing ist ein Weg, wie Unternehmen für die Einhaltung von Regeln sorgen können. Doch das muss richtig vorbereitet werden

Vor allem größere Unternehmen legen immer mehr Wert auf die Einhaltung von Rechtsregeln, weitergehenden Wohlverhaltensregeln oder auch ethischen Maßstäben. Besonders Unternehmen, die börsennotiert sind oder sonst im öffentlichen Rampenlicht stehen, fürchten die oft enormen Schäden bei Nichteinhaltung - z.B. Sanktionen, Reputationsverlust, Schadenersatz oder fallende Aktienkurse - und bemühen sich daher immer mehr um Compliance.

Compliance-Systeme bestehen typischerweise aus der Schulung von Mitarbeitern in internen und externen Workshops sowie aus sogenannten Codes of Conduct, also unternehmensinternen Richtlinien für gesetzes- (und ethik-)konformes Verhalten.

Als flankierende Maßnahme wird dabei oft auf die Beobachtung durch die Belegschaft - oder durch Kunden und Lieferanten - gebaut: "Whistle-Blowing-Hotlines" und ähnliche Meldestellen eröffnen Mitarbeitern und Außenstehenden einen sicheren, vertraulichen Kommunikationsweg zu kompetenten Compliance-Managern abseits ihrer gewöhnlichen Vorgesetzten, um wahrgenommene Missstände zu melden. Die Belegschaft wird darauf hingewiesen, dass die Einhaltung der Wohlverhaltensregeln für das Unternehmenswohl wichtig sei; der Beitrag des Einzelnen liege nicht nur in der eigenen Compliance, sondern auch in der Meldung von Fehlverhalten anderer. Dieser Ansatz kommt aus den USA. Er stößt in Kontinentaleuropa zum Teil auf weniger Verständnis; manche sprechen vom Aufruf zur Vernaderung oder warnen vor Missbrauch. Aber zunehmend setzt er sich auch hier durch.

Aufdecken oder mitspielen

Aber wie sieht die Praxis aus? Ist es Mitarbeitern wirklich anzuraten, Missstände aufzudecken statt mitzuspielen? Zwei Mitarbeitergruppen kann man dabei unterscheiden. Beide können zur Aufdeckung und Aufklärung beitragen, sie haben aber unterschiedliche Interessen und verdienen eine unterschiedliche Behandlung.

Die erste Gruppe umfasst jene Mitarbeiter, die selbst kein Fehlverhalten gesetzt haben, jedoch Fehlverhalten von Arbeitskollegen und/oder Vorgesetzten wahrgenommen haben. Solche Mitarbeiter brauchen erst einmal viel Zivilcourage. Sie legen allerdings auch Wert darauf, dass ihnen im Fall einer Meldung verlässlich keine Nachteile erwachsen werden, etwa Benachteiligungen durch den "verpfiffenen" Vorgesetzten.

Diese Mitarbeiter sind in einer besonders schwierigen Situation: Sie haben durch die Meldung keinen spürbaren Vorteil, aber die Risiken sind beträchtlich. Es stellt sich hier die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Compliance-Systems: Mitarbeiter werden nur dann Missstände melden, wenn sie sicher sein können, dass ihnen aus der Meldung kein Nachteil erwachsen wird.

Interessanterweise schützt das Arbeitsrecht solche Mitarbeiter kaum. Schutz beim Aufdecken von Missständen wird nicht ausdrücklich gesetzlich angeboten. Inwieweit die Gerichte das tun würden, ist weit offen, und Benachteiligungsschutz ist rein rechtlich ohnehin nur schwer zu gewährleisten. Daher muss unternehmensseitig gegenüber solchen Mitarbeitern von Anfang an eine - auch rechtlich effektive - Zusicherung abgegeben werden, dass bei gutgläubig abgegebenen Meldungen ein Schutz gegen Nachteile besteht. Und die Zusicherung muss penibel eingehalten werden. Derartige Benachteiligungsverbote werden daher in manchen Fällen bereits direkt im Code of Conduct festgeschrieben - oder auch nicht, obwohl die Notwendigkeit eines solchen Schutzes auf der Hand liegt. Man fragt sich warum - denn Glaubwürdigkeit ist ein Kernbestandteil aller Compliance-Systeme: Muss nicht auch den "Verpfeifer" schützen, und zwar glaubwürdig und nachhaltig, wer es mit dem Aufruf zum "Verpfeifen" ernst meint?

Die andere relevante Mitarbeitergruppe war selbst an problematischen Vorgängen beteiligt. Als Gegenleistung für ihre Kooperation bei der Aufdeckung wünscht sie sich typischerweise "Immunität" , also ein Entgegenkommen des Unternehmens. Der Arbeitgeber ist hier in ähnlicher Rolle wie der Staat im Strafrecht in der Kronzeugenfrage: Wie weit ist es sinnvoll, diesem Wunsch zu entsprechen, um die Aufklärung zu ermöglichen? Verzicht auf die (sofortige) Beendigung des Dienstverhältnisses? Abschluss einer angemessenen einvernehmlichen Auflösungsvereinbarung? Verzicht auf Schadenersatz? Verzicht auf Anzeige?

Gefährliche Immunität

Sinnvoll können solche Zusagen im Einzelfall sein, wenn sie maßvoll und gut skaliert abgegeben werden; aber die generelle Zusage einer "Immunität" , wie sie sich einzelne Kronzeugen vorstellen, wäre gefährlich, nicht einhaltbar und unklar in der Reichweite. Daher wäre es auch gefährlich, jedem, der Missstände meldet, zuzusagen, dass er daraus keine Nachteile haben wird.

Ein kritischer Test für die Glaubwürdigkeit von Compliance-Systemen ist die Effektivität des Schutzes derer, die Compliance ernst nehmen. Die Unternehmen sind hier gefordert, weil die Rechtsordnung selbst nicht viel hilft. Die Kunst liegt aber darin, richtig zu unterscheiden. Mitarbeiter, die selbst an Missständen beteiligt waren, sind in einer anderen Lage als nichtinvolvierte "Whistle-Blower" . Und Kronzeugen-"Immunität" ist vom nötigen Schutz der Aufdecker zu unterscheiden.

Patrick Piccolruaz, Rechtsanwalt, Bludenz

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