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12. Jan. 2022

Freiheitsersitzung bei nicht verbücherten Wegerecht

Die Anwendung der Freiheitsersitzung auf den Fall einer vertraglich eingeräumten, aber nicht im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit widerspricht zwar dem Gedanken, dass § 1488 ABGB grundsätzlich nur dingliche Servituten vor Augen hat, vermeidet aber den Wertungswiderspruch, dass ansonsten eine nicht intabulierte und damit bloß obligatorisch wirkende Servitut eine höhere Bestandskraft hätte als eine im Grundbuch eingetragene und daher sogar dinglich wirkende.

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Der Oberste Gerichtshof gab der ordentlichen Revision der Kläger nicht Folge. Er führte unter anderem aus:

Das dingliche Recht der Dienstbarkeit wird grundsätzlich nur durch Eintragung im Grundbuch erworben. Vertragliche, aber nicht verbücherte, inhaltlich einer Servitut entsprechende Rechte wirken aber immerhin zwischen den Vertragsparteien. Im vorliegenden Fall war es der Beklagte selbst, der zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt dem damaligen Eigentümer der Nachbarliegenschaft und Rechtsvorgänger der Kläger zusagte, zur Realisierung von dessen Bauvorhaben eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens in Form eines 3 m breiten Geh- und Fahrwegs im Süden des Grundstücks einzuräumen.

Nach § 1488 ABGB verjährt das Recht der Dienstbarkeit durch den Nichtgebrauch, wenn sich der verpflichtete Teil der Ausübung der Servitut widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinander folgende Jahre sein Recht nicht geltend macht. Bei dieser sogenannten Freiheitsersitzung (usucapio libertatis) handelt es sich um einen Fall der Verjährung einer bestehenden Dienstbarkeit. Da es sich um einen Verjährungstatbestand handelt, ist auf der Seite des sich Widersetzenden weder Redlichkeit noch Rechtmäßigkeit erforderlich. Die kurze Verjährung des § 1488 ABGB hat vor allem den Zweck, die rasche Klärung einer strittigen Rechtslage herbeizuführen. Ob ein vom Verpflichteten nicht (mehr) geduldetes Servitutsrecht besteht oder nicht, soll im Interesse der Beteiligten, aber auch der Verkehrssicherheit möglichst schnell gerichtlich geklärt werden.

Die Freiheitsersitzung ist auch dann möglich, wenn der Berechtigte die Dienstbarkeit bisher nicht ausgeübt hat, aber die Ausübung nach dem Lauf der Dinge möglich gewesen wäre. Sie wurde auch bereits in einem Fall einer vertraglich eingeräumten, aber nicht im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit bejaht. Dies widerspricht zwar dem Gedanken, dass § 1488 ABGB grundsätzlich nur dingliche Servituten vor Augen hat, vermeidet aber den Wertungswiderspruch, dass ansonsten eine nicht intabulierte und damit bloß obligatorisch wirkende Servitut eine höhere Bestandskraft hätte als eine im Grundbuch eingetragene und daher sogar dinglich wirkende. Auf vertragliche, jedoch noch unverbücherte Servituten ist § 1488 ABGB somit im Wege der Analogie anwendbar.

OGH | 8 Ob 124/19x

(obiger Text entstammt teilweise oder gänzlich aus der vom OGH veröffentlichten Entscheidungs-Kurzfassung)

 

Kategorien: Sonstiges

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