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14. Dez. 2011

Haager Kinderschutzübereinkommen: Sorgerecht bei internationalen Fällen

Vor kurzem ist das Haager Kinderschutzübereinkommen in Kraft getreten. Doch auch das neue Recht wird für einige Überraschungen sorgen - etwa das Sorgerecht nach einem Umzug des Kindes in einen anderen Vertragsstaat.

Martin lebt schon seit mehreren Jahren mit seiner Freundin Paola in Salzburg. Die beiden bekommen ein Kind, und Martin anerkennt seine Vaterschaft, die auch vom Standesbeamten registriert wird. Da die Beziehung zwischen Martin und Paola gut ist, kümmern sie sich nicht um eine Sorgerechtsvereinbarung. Einige Jahre später zieht die Familie nach Stockholm, wo Martin in einem Einrichtungshaus tätig wird. Weil er fortan nur noch für die Arbeit lebt und die Familie vernachlässigt, zieht Paola mit dem Kind wieder zurück nach Salzburg. Darf sie das ohne Zustimmung von Martin?   Die Antwort auf die Frage gibt das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ), das für Österreich am 1. April in Kraft tritt. Das Übereinkommen, dem bereits 39 Staaten angehören, wird den internationalen Schutz von Kindern, die sich vorübergehend oder dauerhaft außerhalb ihres Heimatstaates befinden, neu regeln. Im KSÜ haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung ausschließlich die Gerichte in jenem Staat zuständig zu machen, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, also wo es auf Dauer lebt. Der Sinn hinter dieser Regelung ist, dass die Gerichte am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes am ehesten abschätzen können, welche Entscheidung für das Kindeswohl am besten ist. Innerhalb der EU hat dies schon bisher die sogenannte „Brüssel IIa-Verordnung“ angeordnet. Das KSÜ gilt aber weltweit in allen Vertragsstaaten, die es ratifiziert haben, etwa in Australien und wohl auch bald in den USA, die das Übereinkommen bereits unterzeichnet haben. Darüber hinaus regelt das KSÜ, welches Recht das zuständige Gericht bei einer Entscheidung anzuwenden hat: nämlich immer sein „eigenes“, also das Recht des Gerichtsstaates. Die Anwendung des eigenen Rechts schafft Klarheit und damit Rechtssicherheit, die das sogenannte Haager Minderjährigenschutzabkommen aus 1961 (MSA), der Vorläufer des KSÜ, schmerzlich vermissen ließ. Langjährige Prozesse, in denen das ausländische Sorgerecht mühsam ermittelt werden musste, waren bisher die Regel.

Sorgerecht für mehrere Leute

Aber auch das neue KSÜ wird für manche Überraschung sorgen, etwa wenn es in seinem Artikel 16 regelt, wie sich das Sorgerecht nach einem Umzug des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verhält. Verständlicherweise ordnet das KSÜ zunächst an, dass das Sorgerecht, das in einem Staat besteht, nach einem Umzug des Kindes in einen anderen Vertragsstaat nicht verloren geht. Unter Umständen kann der Umzug aber dazu führen, dass das Kind einen weiteren Obsorgeberechtigten erhält. Das ist nämlich dann der Fall, wenn ein Elternteil, der bisher noch nicht das Sorgerecht hatte, nach dem Recht in der neuen Heimat des Kindes mit der Obsorge betraut wäre. Damit wären wir beim fiktiven Eingangsbeispiel, auf das die Antwort lautet: Nein. Paola begeht sogar eine Kindesentführung, denn sie verletzt Martins Sorgerecht. Wie das? Zunächst war Paola mit der Obsorge allein betraut, denn während des Aufenthalts in Österreich richtete sich die Frage nach der Obsorge ausschließlich nach österreichischem Recht. Danach hat die Mutter eines unehelichen Kindes die Obsorge allein. Die Vaterschaftsanerkennung ändert daran nichts. Der Umzug nach Schweden hat Paolas Sorgerecht unberührt gelassen, aber nun gelangt auch schwedisches Recht – quasi zusätzlich – zur Anwendung. Nach schwedischem Recht hat Martin, weil seine Vaterschaft registriert ist, das Sorgerecht erlangt. Auch sein Sorgerecht besteht nach dem neuerlichen Umzug des Kindes nach Österreich fort. Das verblüfft etwas, lässt sich aber dann leichter verstehen, wenn man die Dinge aus der Sicht Schwedens betrachtet: Will man alle in Schweden lebenden Kinder gleich behandeln, dann darf es keinen Unterschied machen, ob ihre Vaterschaft in Schweden oder sonst wo anerkannt wurde. Ein Vater aber, der in Schweden das Sorgerecht hatte, soll es auch nach einem Wegzug des Kindes weiterbehalten. Schließlich sieht das KSÜ auch die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung vor. Abänderungen solcher Entscheidungen dürfen nur die Gerichte in jenem Staat vornehmen, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zentrale Behörden, in Österreich das Justizministerium, helfen bei der gerichtlichen Zusammenarbeit, damit das KSÜ auch in der Praxis hält, was es verspricht: eine transparente und praktische Neuordnung des internationalen Kinderschutzes.

Petra Piccolruaz, Rechtsanwalt, Bludenz

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