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16. Jun. 2011

Studie: Beschuldigten-Rechte vernachlässigt

Seit der Reform der Strafprozessordnung im Jahr 2008 gelten neue Regeln. Was sie für die Praxis bedeuten, wurde nun erstmals evaluiert: „Die Verlierer sind der Beschuldigte und der Verteidiger“, sagte der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer bei der Tagung der Juristenkommission am Attersee. Zum einen gebe die neue Strafprozessordnung die Möglichkeit, „den Verteidiger auszuschließen, wenn er die Wahrheit erschweren könne“. Und auch wenn das in der Praxis noch nicht beobachtet wurde, zeige sich das Phänomen, dass bis zu 97 Prozent der Vernehmungen freiwillig ohne Anwalt stattfinden. „Das ist das Dramatische“, meint Birklbauer im Gespräch mit der „Presse“. Er vermutet vor allem soziale Gründe: Denn die Verfahrenshilfe werde erst im Prozess, aber noch nicht im Vorverfahren gewährt.

Birklbauer untersuchte rund 5000 Stichproben. Und er kam zum Schluss, dass es auch bei der Belehrung der Verdächtigen über ihre Rechte – etwa, dass sie einen Verteidiger beiziehen dürfen – Probleme gibt: Die Belehrung erfolgt oft mittels Formblatt. „Das ist aber meist nur eine Ansammlung von Paragrafen“, erklärte Birklbauer. Und diese Belehrung werde daher nicht immer verstanden: So verweist der Jurist darauf, dass ein im Rahmen der Studie befragter Polizist selbst erklärt hat: „Es ist so kompliziert, das verstehe ich selber nicht. Ich sage immer dem Beschuldigten, dass er schweigen darf, aber, wenn er etwas sagt, dann muss es stimmen. Und das versteht er dann auch.“ Doch die Auskunft ist falsch, ein Beschuldigter muss nicht die Wahrheit sagen.

Für Unmut bei der Politik sorgt eine andere Erkenntnis der Studie: Nämlich, dass Staatsanwälte nicht so sehr die Herren des Vorverfahrens sind, wie man es nach der Abschaffung des Untersuchungsrichters 2008 erwartet hat. „Das Problem ist, dass der Spielraum, den das Gesetz gibt, sehr weit ist“, erklärt Birklbauer. In der Praxis sei es meist so, dass die Kriminalpolizei die Fälle ausarbeitete und erst dann der Staatsanwaltschaft präsentierte. Die Staatsanwälte würden der Kriminalpolizei kaum konkrete Anleitungen geben und nur selten selbst Verhöre machen. „Ich bin konsterniert über die niedrige Zahl der Vernehmungen, die vom Staatsanwalt durchgeführt werden“, erklärte am Freitag SPÖ-Abgeordneter Johann Maier. So sei das alles nicht gedacht gewesen.

Ministerium beruhigt
Christian Pilnacek, Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium, zeigt sich aber mit der Reform zufrieden: Dank ihr dürften Beschuldigte nun bereits früher in die Akten einsehen, und es gebe nun klare Regeln für die Polizei. Und es sei auch gar nicht Ziel der Reform gewesen, dass Staatsanwälte und Kriminalpolizei viel mehr kommunizieren. „Aber wir werden gewisse Scharniere in der Zusammenarbeit und Kontrolle noch ölen“, verspricht Pilnacek.

Patrick Piccolruaz, Rechtsanwalt

Kategorien: Sonstiges

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