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6. Sep. 2011

Die EU-Politik bei staatlichen Aufträgen

Korruptionsbekämpfung, Umweltschutz, Innovation und soziale Belange im Fokus

Mit dem Grünbuch zum Vergaberecht hat die EU einen breiten Prozess der Meinungsbildung losgetreten.
17 Prozent des BIP der Europäischen Union, also fast ein Fünftel, werden mittlerweile aus Verträgen erzielt, deren Zustandekommen dem Vergaberecht unterliegt. Dieser hohe Anteil unterstreicht die enorme wirtschaftliche Bedeutung dieser Rechtsmaterie.

Daher hat sich die Europäische Kommission die Aufgabe gesetzt, das öffentliche Auftragswesen zu modernisieren. Zu diesem Zweck hat sie gar nicht so zentralistisch und diktatorisch agiert, wie es ihr von Kritikern häufig vorgeworfen wird. Die Kommission hat alle Betroffenen und Interessierten mittels eines Grünbuches eingeladen, Stellung zu nehmen und ihre Vorschläge für ein effizientes und nachhaltiges Vergabeverfahren einzubringen. Diese Meinungsbildung endete Mitte April.

Seitens der Kommission wurden insbesondere Themen wie Korruptionsbekämpfung, Umweltschutz, Innovationsförderung, die Berücksichtigung sozialer Belange und die Qualitätssteigerung verstärkt in das Vergabewesen mit einbezogen.

Das Grünbuch ist noch keine Rechtsnorm. Es stellt lediglich die Basis für den jetzt in Gang kommenden Gesetzgebungprozess für das neue Vergaberecht dar. Dennoch zeichnet sich ab, dass viele dieser neuen Aspekte erheblich zur qualitativen Weiterentwicklung des Vergaberechts beitragen werden.

Einer der wesentlichen Punkte in dem Grünbuch ist die Frage, ob für KMUs und neu gegründete Unternehmen die Teilnahme an Vergabeverfahren erleichtert werden kann. Die Kommission sieht KMUs als "Rückgrat der EU-Wirtschaft" an und ortet bei ihnen "im Hinblick auf Beschäftigung, Wachstum und Innovation ein enormes Potenzial". Angedacht sind etwa die Pflicht zur Unterteilung von Aufträgen in Lose, die Forcierung von Eigenerklärungen und die Verpflichtung, einen bestimmten Prozentsatz des Auftragswerts an KMUs zu vergeben.

All diese Vorschläge könnten durchaus KMUs fördern, anzumerken bleibt jedoch, dass sich durch derartige Regelungen wohl die Kosten für die Auftraggeber erhöhen werden. Klar zeigt sich aber die europäische Tendenz, das Vergabewesen zur Durchsetzung politischer Ziele zu nutzen.

Ein anderer wesentlicher Bereich im Grünbuch betrifft die Einbeziehung der "sonstigen Aspekte". Dabei handelt es sich um gemeinsame gesellschaftliche Ziele wie Umweltschutz, Innovationsförderung, Berücksichtigung sozialer Belange und Qualitätssteigerung öffentlicher Dienstleistungen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie diese im Vergabewesen berücksichtigt werden könnten. Entweder wird direkt im Verfahren darauf Bezug genommen ("Beschaffungstechnik"), oder es erfolgt eine Vorschreibung verbindlicher Anforderungen für die Art der zu beschaffenden Güter und Dienstleistungen ("Beschaffungsgegenstand"). So könnte etwa ein Auftraggeber verlangen, dass die Bieter bei der Einstellung von Personal die Gleichstellung der Ge-schlechter gewährleisten oder eine Quotenpolitik einhalten müssen.

Einfach zu verstehen
Nach wiederholter Ansicht der Kommission auf Basis der Rechtsprechung sind jedoch die Grundsätze des Vergaberechts, wie die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten, das Diskriminierungsverbot, die Grundsätze des freien und lauteren Wettbewerbs und die Gleichbehandlung aller Bewerber/Bieter, auch bei Berücksichtigung "sonstiger Aspekte" einzuhalten. Das bedeutet für Praktiker das Problem der Konkretisierung. Denn das Vergaberecht muss so einfach zu verstehen sein, dass es auch von Personen angewendet werden kann, die keine Vergaberechtsexperten sind.

Hervorzuheben ist weiters, dass sich die Kommission mit der Möglichkeit beschäftigt, das Vergabewesen zur Korruptionsvermeidung zu nutzen. Angedacht ist dabei die Regelung von Interessenkonflikten, insbesondere die Einführung von Definitionen zu Bereichen wie persönliche Beziehungen, Unternehmensinteressen und Beteiligungen oder Unvereinbarkeit mit externen Tätigkeiten.

All diesen Punkten ist gemein, dass sich das Vergabewesen zunehmend von seinen oben erwähnten Grundsätzen entfernt und vielmehr zur Umsetzung politischer Ziele genutzt werden soll.

Stefan Müller, Rechtsanwalt

Kategorien: Sonstiges

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