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8. Dez. 2011

Bilanzen: EU prüft Zwangsstrafen des Firmenbuchs

Das Oberlandesgericht Innsbruck beantragt eine Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Union.  

Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 wurden die Zwangsstrafen im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses grundlegend geändert. So sind die Firmenbuchgerichte nunmehr verpflichtet, ohne vorherige Androhung Zwangsstrafen zu verhängen, wenn Unternehmen ihre Offenlegungsverpflichtung nicht zeitgerecht erfüllen. Eine „Vorwarnung“ entfiel. Von der Verhängung einer Zwangsstrafe kann nur dann abgesehen werden, wenn das Organ offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. Durch Einführung eines Mindestbetrages der Zwangsstrafe wurde den Gerichten in diesem Bereich jedes Ermessen genommen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung hegt der OGH keine (6 Ob 129/11f). Das OLG Innsbruck hat jedoch Zweifel an der Europarechtskonformität angemeldet. Mit Beschluss vom 29. Juli (3 R 119/ 11s, 3 R 120/11p) hat es in einem Verfahren über die Zwangsstrafe gegen eine deutsche GmbH mit einer im österreichischen Firmenbuch eingetragenen Niederlassung ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Unter anderem hat das OLG den EuGH um Prüfung gebeten, ob der neue § 283 UGB die Niederlassungsfreiheit (Art 49, 54 AEUV), den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes (Art 6 Abs 3 AEUV), den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 6 Abs 2 der EMRK, das Doppelbestrafungsverbot (Art 50 GRC) oder die EU-Vorgaben für die Sanktionen im Offenlegungsverfahren verletzt. Problematisch wird vom OLG Innsbruck vor allem die „automatische“ Verhängung der Zwangsstrafen ohne Möglichkeit, vorab dazu Stellung zu nehmen, und ohne vorherige individuelle Aufforderung an die Gesellschaft oder die vertretungsbefugten Organe angesehen. Dasselbe gelte für die vorgesehene wiederholte Verhängung der Mindeststrafen. Das Anlassverfahren wurde bis zur Entscheidung des EuGH unterbrochen. Erfahrungsgemäß dauern Vorabentscheidungsverfahren etwa zwei Jahre. Auch andere Verfahren über die Verhängung von Zwangsstrafen, bei denen die vorliegenden Fragen präjudiziell sind, sollten bis zum Vorliegen einer Entscheidung des EuGH unterbrochen werden.

Patrick Piccolruaz, Rechtsanwalt, Bludenz

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