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19. Mai. 2011

Befangenheit: Anschein genügt

OGH – Entscheidung erleichtert Ablehnung von Richtern.
In mehreren aktuellen, in den Medien berichteten Gerichtsverfahren hat sich die Frage nach der Befangenheit von Richtern gestellt. Oft wird dabei angenommen, Ablehnungsanträge wegen Befangenheit würden grundsätzlich abgelehnt. Folgt man der jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, wird dies in Zukunft jedoch nicht mehr so leicht sein. Ausgangspunkt war die Klage einer liechtensteinischen Gesellschaft gegen einen Notar auf Schadenersatz von 1,6 Mio. Euro. Dieser soll es pflichtwidrig unterlassen haben, auf eine unwirksame Vertragsbestimmung hinzuweisen. Trotz 15-jähriger Duz-Bekanntschaft, gemeinsamer Sportvereinsmitgliedschaft zu zahlreicher beruflicher Kontakte mit dem Notar fühlte sich der zuständige Richter nicht befangen. Das OLG Linz lehnte den Befangenheitsantrag dementsprechend ab.

Das darauf folgende OGH – Erkenntnis (18. 1. 2011, 4Ob143/10y) ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Aus der Urteilsbegründung: „Auch wenn ein Richter tatsächlich unbefangen sein sollte, genügt es, dass Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss. Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung. Gerechtigkeit soll nicht nur geübt, sondern auch sichtbar geübt werden. Der Senat hat zwar keinen Anlass darauf zu zweifeln, dass er nach der Geschäftsverteilung zuständige Richter in der Lage wäre, den Fall objektiv zu entscheiden. Der äußere Anschein einer besonderen Nähe zu einer Prozesspartei zwingt aber schon zur Wahrung des Ansehens der Gerichtsbarkeit, dem Ablehnungsantrag dennoch stattzugeben.“
Ausführlich beleuchtet der OGH die Befangenheitsproblematik vor allem im Zusammenhang mit dem Verfassungsrecht „aus den gesetzlichen Richter“. Einfach gesagt: Niemand soll sich seinen Richter aussuchen könne, aber auch nicht willkürlich vor einem „ausgewählten“ Gericht oder Richter geklagt oder angeklagt werden. Nicht nur unzuständige Gerichte, sonder – entgegen der früheren Rechtsprechung – selbst eine Verletzung der Geschäftsverteilung innerhalb eines Gerichtes führt demnach zur Nichtigkeit des Zivilprozesses. Umso mehr dürfte das für Strafrechtssachen gelten.

Andererseits darf eine Partei durch Ablehnung eines Richters auch nicht die Möglichkeit haben, einen ihr nicht genehmen Richters loszuwerden. Hier verweist der OGH auf Artikel 6 der Menschenrechtskonvention (MRK) und empfiehlt, bei Befangenheitsentscheidungen den Grundsatz auf rechtliches Gehör beider Seiten zu wahren und Rechtsmittel zweiseitig zu ermöglichen.

Stefan Müller, Rechtsanwalt

Kategorien: Sonstiges

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