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26. Sep. 2016

Mehrheitsgesellschafter als gewerberechtlicher Geschäftsführer?

Nach § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 darf eine juristische Person nur dann ein reglementiertes Gewerbe ausüben, wenn sie eine Person mit der gewerberechtlichen Geschäftsführung betraut, die entweder dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ angehört oder mindestens die Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb versicherungspflichtig beschäftigt ist. Diese Regelung ist abschließend, obwohl die Ziele dieser Regelung auch auf andere Weise erfüllt werden könnten (hier: Mehrheitsgesellschafter mit 75 %-Anteil, dessen Bindung zur GmbH enger und dessen Handlungsspielraum mindestens ebenso weit ist wie bei Personen, die die Anforderungen des § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 erfüllen).

Der VwGH hegt daher Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994, weil diese Bestimmung eine unverhältnismäßige Beschränkung des Rechts auf freie Erwerbsbetätigung (Art 6 StGG) darstellen dürfte.

VwGH 4. 7. 2016, Ro 2016/04/0006 (A 2016/0005)

Ausgangsfall

Revisionswerberin ist eine GmbH, die zur Ausübung des Gewerbes „Erdbau gem § 1 Z 7 Teilgewerbe­Verordnung“ (BGBl II 1998/11) berechtigt ist. Gesellschafter des Familienunternehmens sind MS und ihr Sohn DI S. MS ist handelsrechtliche Geschäftsführerin, DI S verfügt über den notwendigen Befähigungsnachweis und war bis 1. 1. 2015 gewerberechtlicher Geschäftsführer und bis 31. 12. 2014 bei der GKK nach dem ASVG versichert. Da er im Juli 2014 von seinen Großeltern75 % der Gesellschaftsanteile an der GmbH erworben hatte, wurde er seit 1. 1. 2015 nicht mehr bei der GKK, sondern bei der SVA als neuer Selbstständiger versichert. Die Funktion des gewerberechtlichen Geschäftsführers übt er nach wie vor aus.

Nach Aufforderung durch die BH teilte die GmbH mit, dass DI S neuerlich als gewerberechtlicher Geschäftsführer tätig bzw bestellt worden sei. Die BH stellte daraufhin mit Bescheid fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung des DI S als gewerberechtlicher Geschäftsführer nicht vorlägen und die Geschäftsführerbestellung nicht zur Kenntnis genommen werde. Die GmbH habe spätestens bis 30. 6. 2015 einen neuen gewerberechtlichen Geschäftsführer zu bestellen, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle. Das LVwG wies die Beschwerde der GmbH als unbegründet ab.

 

Entscheidung

Einflussmöglichkeit des gewerberechtlichen GF

Im öffentlichen Interesse (va Schutz vor Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit sowie Schutz der Konsumenten) wird durch § 39 iVm § 9 Abs 1 GewO 1994 sichergestellt, dass bei juristischen Personen der bestellte Geschäftsführer den erforderlichen Befähigungsnachweis erbringt (§ 39 Abs 2 erster Satz GewO 1994) und der juristischen Person (Gewerbeinhaber) gegenüber für diefachlich einwandfreie Ausübung des Gewerbes und der Gewerbebehörde gegenüber für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich ist (§ 39 Abs 1 erster Satz GewO 1994). Dazu muss der gewerberechtliche Geschäftsführer in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen, und muss insb eine entsprechende, selbstverantwortliche Anordnungsbefugnis besitzen (§ 39 Abs 2 erster Satz GewO 1994).

Dem gewerberechtlichen Geschäftsführer muss es daher möglich sein, die gewerbliche Tätigkeit im Betrieb ausreichend zu beobachten, zu kontrollieren und zu steuern. Von zentraler Bedeutung sind die Möglichkeit der Verhaltenssteuerung und entsprechende Verfügungs­ und Überwachungsmöglichkeiten. Der gewerberechtliche Geschäftsführer muss in der Lage sein, Zustände, die der GewO 1994 widersprechen, abzustellen bzw abstellen zu lassen (zur stRsp des VwGH vgl zB VwGH 27. 1. 2010, 2006/04/0038 = LN Rechtsnews 8818 vom 15. 3. 2010).

Zusätzliche Voraussetzungen

Für juristische Personen, die ein reglementiertes Gewerbe (§ 94 GewO 1994) ausüben (wollen), trifft § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 darüber hinaus eine besondere Regelung: Danach darf eine juristische Person lediglich eine Person zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellen, die dem Kreis der in Z 1 und 2 erwähnten Personen angehört, also

1.

eine Person, die dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehört, oder

2.

einen voll versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, der mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigt sein muss.

Diese Regelung ist abschließend. Andere Möglichkeiten der Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers kennt § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 nicht, obwohl die allgemeinen Anforderungen des § 39 Abs 2 erster Satz GewO 1994 auch in anderer Weise erfüllt werden könnten - wie die vorliegende Revisionssache zeigt:

Im vorliegenden Fall sollte nämlich der Mehrheitsgesellschafter der GmbH als gewerberechtlicher Geschäftsführer fungieren. Er besitzt als solcher eine selbstverantwortliche Anordnungsbefugnis und ist in der Lage, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. So sind Mehrheits- und Alleingesellschafter einer GmbH berechtigt, dem (handelsrechtlichen) Geschäftsführer der GmbH Weisungen zu erteilen, an die dieser gebunden ist, soferne er sich dadurch nicht zivilrechtlich oder strafrechtlich haftbar macht (vgl § 39 Abs 1 GmbHG und zB OGH 20. 10. 2015, 11 Os 52/15d =LN Rechtsnews 20617 vom 20. 11. 2015).

Der VwGH folgt daher dem Vorbringen der GmbH, wonach der Mehrheitsgesellschafter als gewerberechtlicher Geschäftsführer im Ergebnis die Zielsetzung des § 39 Abs 2 dritter Satz Z 1 und 2 GewO 1994 nicht nur erfüllt, sondern übertrifft: Als Mehrheitsgesellschafter sei er nämlich wesentlich stärker in das Unternehmen eingebunden als ein bloß unternehmensrechtlicher Geschäftsführer, der durch einfachen Gesellschafterbeschluss jederzeit abberufen werden könne und an der Gesellschaft nicht finanziell beteiligt sei.

Nach dem aus den Gesetzesmaterialien erkennbaren telos kann die Bestimmung nicht angewendet werden, weil den Gesetzesmaterialien nach der Rsp des VwGH im Hinblick auf den Gesetzestext und die Systematik des Gesetzes keine Bedeutung bei der Auslegung des Gesetzes zukommen kann.

Unverhältnismäßige Beschränkung

Die Notwendigkeit des § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 begründete der Gesetzgeber va damit, dass „der Geschäftsführer einer juristischen Person enger als bisher an das Unternehmen gebunden“ und damit „auch dem „Scheingeschäftsführerunwesen entgegengewirkt werden“ solle (vgl RV 635 BlgNR 18. GP, 83, zur Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl 1993/29).

Beide Ziele sind nach Auffassung des VwGH aber nicht geeignet, die Verhältnismäßigkeit der Regelung des § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 darzutun:

So ist nach Lage des vorliegenden Falles (Mehrheitsgesellschafter im familieneigenen Unternehmen) eine enge Bindung an das Unternehmen unstrittig anzunehmen und auch eine entsprechende Betätigung des Mehrheitsgesellschafters im Betrieb gem § 39 Abs 3 GewO 1994wird - wie dargestellt - nicht angezweifelt. Der VwGH stimmt auch dem Argument der Revision zu, wonach die Entscheidung darüber, welche Person innerhalb einer Gesellschaft welche Funktion ausüben solle, eine rein unternehmerische Entscheidung sei. Das Auseinanderfallen der beiden Funktionen unternehmensrechtlicher und gewerberechtlicher Geschäftsführer könne nicht nur zureffizienteren Unternehmensführung beitragen, sondern auch dann sinnvoll sein, wenn der unternehmensrechtliche Geschäftsführer nicht den notwendigen Befähigungsnachweis erbringen könne, im Unternehmen aber Personen vorhanden seien, die diesen Nachweis erbringen könnten. Auch als Angestellter wäre ein Fachmann zwangsläufig wesentlich schwächer in die Unternehmensstruktur eingebunden, als der Mehrheitsgesellschafter.

Der vorliegende Sachverhalt zeigt nach Ansicht des VwGH auch, dass Bedenken hinsichtlich einesScheingeschäftsführers völlig unbegründet sind und die Regelung sohin die unternehmerische Entscheidung, welche Person innerhalb einer Gesellschaft welche Funktion ausüben solle, in derartigen Fällen in unverhältnismäßiger Weise beschränkt.

Somit dürfte es nach Auffassung des VwGH sachlich nicht zu rechtfertigen sein, dass die beiden Kriterien des § 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994 abschließend normiert sind und diese Regelung eine Konstellation wie hier ausschließt, in der die mit dieser Bestimmung verfolgte Zielsetzung ebenso erfüllt wird.

Dem Problem des Scheingeschäftsführerunwesens könnten weiters auch andere Bestimmungen des § 39 GewO 1994 ebenso entgegenwirken, insb die nachweisliche Zustimmung des gewerberechtlichen Geschäftsführers zu seiner Bestellung nach § 39 Abs 2 zweiter Satz GewO 1994, mit der ihm seine Befugnis deutlich vor Augen geführt wird, oder die Verwaltungsübertretung gem § 367 Z 7 GewO 1994, wenn sich der Gewerbeinhaber für die Ausübung eines Gewerbes eines Geschäftsführers bedient, der sich nicht im Betrieb entsprechend betätigt (Geldstrafe bis zu € 2.180). Nach der stRsp des OGH sind weiters Scheingeschäfte mit einem gewerberechtlichen Geschäftsführer nichtig (vgl zB mwN OGH 30. 6. 2003, 7 Ob 135/03h mwN = RdW 2003/542).

Prüfungsantrag

Der VwGH stellt daher gem Art 140 Abs 1 iVm Art 89 Abs 2 und Art 135 Abs 4 B­VG an den VfGH den Antrag

-

§ 39 Abs 2 dritter und vierter Satz GewO 1994 (idgFBGBl I2012/85)

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in eventu§ 39 Abs 2 dritter Satz GewO 1994(idgFBGBl I2012/85)

als verfassungswidrig aufzuheben.

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