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12. Feb. 2014

EuGH-Richterin: Gesetzgebungsverfahren ist transparent

 

Die frühere österreichische Justizministerin Maria Berger ist jetzt Richterin beim Europäischen Gerichtshof. Sie gab anlässlich des Alpbach-Themas „Europäisches Recht – geheim entstanden und unbekannt geblieben?“ der Presse ein Interview:

Die Presse: Sie diskutieren in Alpbach zum Thema „Europäisches Recht – geheim entstanden und unbekannt geblieben?“. Nun waren Sie Justizministerin, EU-Abgeordnete und sind jetzt Richterin am EU-Gerichtshof. Können Sie uns sagen, wie geheim das europäische Recht wirklich entsteht?

Maria Berger: Ich habe Verständnis für provokante Titel. Aber der Entstehungsprozess des europäischen Rechts ist kein geheimer. Interne Beratungen sind nicht öffentlich, aber der Entwurf der Europäischen Kommission schon, auch der gesamte Gesetzgebungsprozess. Es gibt gute Beispiele, etwa die Bienengeschichte. Da ist öffentlich geworden, was die Kommission vorschlug und was Österreich erst nicht und dann doch wollte.

Aber gerade diese Causa hat den Eindruck erweckt, dass Umweltminister Nikolaus Berlakovich geglaubt hat, sein Nein zum Pestizidverbot würde geheim bleiben. Erst nachdem die Causa medial erörtert worden war, änderte er seine Meinung.

Was er geglaubt hat, weiß ich nicht.

Immer wieder wird gemunkelt, dass die Lobbyisten in Brüssel das Sagen hätten und Abgeordneten sogar fertige Gesetzesentwürfe schickten. Gibt es das in der Praxis?

Ob fertige Gesetzesentwürfe verschickt werden, weiß ich nicht. Was ich selbst erlebt habe, ist, dass Lobbying-Organisationen an die Abgeordneten Änderungsanträge herantragen. Aber das ist ja ein Beweis dafür, dass der Gesetzgebungsprozess nicht geheim ist. Jeder Abgeordnete muss wissen, welche Idee er aufgreift und welche nicht. Und alles, was zu sehr nach Einzelinteressen riecht, hat keine Chance auf eine Mehrheit im Parlament.

Wenn das europäische Recht also, wie Sie sagen, ohnedies transparent ist, woher kommt dann der Mythos, dass es so geheim entsteht?

Der Titel der Diskussion in Alpbach ist reißerisch gewählt. Die Frage, die sich eher stellt, ist, ob die Bürgerinnen und Bürger ausreichend gut ihre Rechte kennen. Hier gibt es sicher Probleme. Die grundlegenden Dinge, wie etwa, dass man in einem anderen Land arbeiten darf, sind aber weitgehend bekannt.

Aber glauben Sie, dass die Bürger verstehen, wie das Recht auf EU-Ebene entsteht?

Es ist hier zum Teil sicher ein Problem, dass der Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene anders abläuft als auf österreichischer Ebene. Das führt zu Verständnisschwierigkeiten. Dazu kommt, dass in der Medienberichterstattung Zusammenhänge oft nicht klargestellt werden. Mich ärgert etwa, wenn ein Entwurf der Kommission dargestellt wird, als wäre er schon ein Gesetzgebungsakt. Und dann heißt es in einem kurzen Nachsatz: „Parlament und Rat müssen noch zustimmen.“ Diese verändern aber die Entwürfe der Kommission meist massiv.

Wäre es besser, wie auf nationaler Ebene, auch auf EU-Ebene nur mehr allein das Parlament die Gesetze machen zu lassen und daneben die Kommission als Regierung zu haben?

Im Grunde ist es schon so: Die Kommission ist die Regierung, und dann gibt es ein Zweikammersystem. Die Staatenkammer, das ist der Rat, und das Parlament, das die Bürgerkammer darstellt.

Also den Rat ganz zu entmachten käme nicht infrage?

Nein, die Mitgliedstaaten müssen weiterhin Gewicht haben.

Wäre es sinnvoll, bei EU-Wahlen mit europaweiten Listen anzutreten und nicht mehr einzelne nationale Parteien kandidieren zu lassen?

Das wäre sicher sinnvoll. Wichtig wäre auch – das ist ohnedies in Planung –, dass der Zusammenhang zwischen Parlamentswahl und Kommissionsbildung deutlicher wird.

In Österreich wird die Qualität von Gesetzen oft angeprangert. Ist das auf EU-Ebene besser?

Auf europäischer Ebene gibt es ein noch stärkeres Bedürfnis nach Kompromissen, wenn man sich mit 28 Staaten einigen muss. Die Genauigkeit der Gesetze lässt daher oft zu wünschen übrig, und man verwendet noch öfter als in der österreichischen Gesetzgebung unbestimmte Gesetzesbegriffe.

Gesetzesbegriffe, die Sie als Richterin dann erst auslegen müssen. Ist das nicht eine Unart, die Rechtserzeugung Richtern quasi zu überlassen?

Ja, aber es ist mit einkalkuliert, dass der Gerichtshof die Begriffe auslegen muss. Ich habe das selbst erlebt. Es ist im Gesetzgebungsprozess oft nicht anders möglich.

Wo sehen Sie noch Unterschiede zwischen der Gesetzgebung in Österreich und auf EU-Ebene?

Es gibt auf EU-Ebene viel weniger Anlassgesetzgebung. Der Gesetzgebungsprozess ist geordneter als manchmal auf staatlicher Ebene. Und die Ausschusssitzungen des Europäischen Parlaments sind im Gegensatz zu den nationalen öffentlich. Jeder Bürger kann sich da hineinsetzen und zuhören.

Nun gibt es aber auch österreichische Parlamentarier, die hinter vorgehaltener Hand sagen, dass man in den parlamentarischen Ausschüssen, gerade weil sie nicht öffentlich sind, endlich einmal sachlich diskutieren könne.

Ich habe nie verstanden, warum man nicht auch dann sachlich diskutieren kann, wenn die Öffentlichkeit anwesend ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2013)

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