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Das Piz Buin-Urteil: Haftung des „Führers aus Gefälligkeit“ - 10/2005

Zwar datiert die grundsätzliche Entscheidung des OGH vom 30.10.1998. Sie wurde dann aber in alpinen Kreisen heftig diskutiert, und es hat sich mittlerweile eine einheitliche Meinung zu diesem Thema herauskristallisiert.

Der Oberste Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom 30.10.1998 in Bergsteigerkreisen große Aufregung verursacht. Er verurteilte nämlich einen Alpinisten, der einen unerfahrenen Freund mit auf eine Tour genommen hatte, bei der es dann zu einem folgenschweren Unfall kam. Das Urteil hat nicht nur für erregte Diskussionen gesorgt, sondern ist vielfach auch missverstanden worden. Mittlerweile hat sich eine Reihe von Rechtsgelehrten mit den Grundsätzen des Obersten Gerichtshofes befasst, und scheint es nun eine einheitliche Auffassung für die Haftung eines „Führers aus Gefälligkeit" zu geben.

Um diese Gedankengänge nachvollziehen zu können, stellen wir im Nachfolgenden den Sachverhalt dar, der bei dem gegenständlichen Gerichtsverfahren Grundlage des Urteils gewesen ist. Der Führer war vor der Unfalltour bereits 7-mal auf dem Piz Buin gewesen. Es handelt sich bei ihm um einen begeisterten Bergsteiger mit Kletter- und Gletschererfahrung und Erfahrung auch im Umgang mit Steigeisen und Seil, der schon öfters Bergkameraden am Seil gesichert hatte, allerdings über keine Ausbildung in der Seilsicherung verfügte. Der verletzte Freund hingegen hatte weder Gletscher- noch Klettererfahrung und teilte dies auch mit. Sein Freund bot ihm an, ihn auf den Piz Buin mitzunehmen und für die erforderliche Ausrüstung zu sorgen. In diesem Zusammenhang erkundigte er sich auch wegen der Steigeisen nach der Schuhgröße. Darüber hinaus erklärte er, dass es auf der Tour auf den Piz Buin zwar einige kritische Stellen gebe, er nehme jedoch ein Seil mit, sodass diese bewältigt werden könnten. Der „Führer“ nahm am Unfallstag Steigeisen für sich, ein Seil und einen Pickel mit. Für seinen Freund hat er keine Steigeisen besorgt. Der hatte zwei Paar Schuhe mitgenommen und der „Führer“ wählte unter diesen jenes Paar aus, das der später Verletzte schließlich anzog.

Der Unfall passierte beim Abstieg unterhalb des „Wiesbadner Grätles“. Die beiden mussten ein steiles Schneefeld queren, das sie beim Aufstieg problemfrei bewältigt hatten. Vor dem Betreten des Schneefeldes legte sich der Führer die Steigeisen an und gab seinem Freund den Pickel. Diesem wurde nun die Gefährlichkeit des Abstieges über das Schneefeld bewusst. Er stellte nun fest, dass er zum Unterschied zu dem „Führer“ keine Steigeisen habe und meinte, dass er abgehen werde wie eine Rakete, wenn er rutsche. Sein Freund und Führer erwiderte, er solle sich nicht so anstellen, es werde schon keine Probleme geben. Daraufhin stieg der Kollege mit dem Pickel in das Schneefeld ein, verlor aber bereits nach wenigen Schritten den Halt und rutschte tatsächlich über das Schneefeld ab, wobei er sich erheblich verletzte.

Nach der breiten Diskussion in Fachkreisen dürfte sich folgende Rechtslage verfestigen:

  1. Auch in ungeführten Tourengemeinschaften bestehen wechselseitige Schutz- und Sorgfaltspflichten.
  2. Dem vor allem in alpiner Erfahrung und alpinistischem Können überlegenen Mitglied einer Tourengemeinschaft kommt dann die Funktion eines „Tourenführers aus Gefälligkeit" zu, wenn es zwischen den Tourenmitgliedern ausdrücklich oder zumindestens stillschweigend zu einer Übertragung von Verantwortung an ihn, d.h., zu einem mindestens teilweisen Übergang von der Eigenverantwortung zur Fremdverantwortung gekommen ist.
  3. Meistens wird nicht ausdrücklich darüber gesprochen, sodass zu prüfen ist, ob eine stillschweigende Übertragung der Verantwortung stattgefunden hat. Dies ist dann zu bejahen, wenn bei den Gefährten ein Vertrauen in die Führerrolle und in die Schutz- und Hilfsfunktion des Kompetenteren geweckt wurde. Für die Beurteilung gibt es eine Mehrzahl von Kriterien, die hier nur beispielsweise angeführt werden.

    Die Wichtigsten sind
    * Überlegenheit an alpiner Erfahrung
    * Überlegenheit an alpinistischem Können
    * Entscheidungskompetenz über Route
    * Entscheidungskompetenz über Fortführung oder Abbruch der Tour
     
  4. Die Führungsstruktur einer Tourengemeinschaft kann man am besten mit folgender Kontrollfrage prüfen:
    Werden Entscheidungen über Ziel, Route, Art und Weise der Bewältigung von Gefahrenstellen, die Sicherung oder über Abbruch der Tour gemeinschaftlich getroffen oder steht die Entscheidungskompetenz nach Auffassung der Gruppe einem einzelnen Mitglied alleine zu.
  5. Rechtlich ist nun eine solche Situation als Vertragsverhältnis zu qualifizieren. Der Inhalt dieses Vertrages ist aber nicht die Durchführung der Tour, sondern die Übernahme erhöhter Schutz- und Sorgfaltspflichten, gegebenenfalls auch von Hilfeleistungen durch den Führer gegenüber den übrigen Mitgliedern der Gemeinschaft.
  6. Eine solche Haftung könnte ausgeschlossen werden. Dies müsste aber durch eine ausdrückliche Erklärung geschehen.
  7. Wer nach den oben angeführten Kriterien als „Tourenführer aus Gefälligkeit“ anzusehen ist, der muss sich bei der Beurteilung seines Verhaltens jenes Können und Wissen anrechnen lassen, über das ein durchschnittlicher Bergsteiger desselben Leistungs- und Erfahrungsniveaus normalerweise verfügt. Nach diesen Kriterien muss dann rückblickend sein Verhalten beurteilt werden.

Mag. Patrick Piccolruaz

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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6700 Bludenz
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