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Diversion - 06/2000

Sozialdienste für Verkehrssünder?

Am 1.1.2000 ist eine umfassende und die seit 1975 bedeutendste Strafrechtsnovelle in Kraft getreten. Die neuen Regelungen sind sowohl für Täter und Opfer gleich bedeutend. Im Zusammenhang mit dem Antritt der neuen Regierung wurde in den Medien viel über die Diversion berichtet, da an-fangs von einer Seite deren Abschaffung bzw. teilweise Zurücknahme gefordert wurde. Diese Regelungen, die man als „Diversion“ bezeichnet, wurden häufig völlig falsch als Milderung des Strafrechts dargestellt. Diversion ist vielmehr eine flexible Alternative zu den herkömmlichen Sanktionen des Strafrechts.

WAS IST DIVERSION?

Diversion ist nicht Entkriminalisierung von bestimmten Delikten, sondern die informelle Erledigung leichterer Straftaten, die aus den gerichtlichen Strafverfahren herausgenommen werden sollen. Es ist die Aufarbeitung einer Straftat ohne richterlichen Schuldspruch.

Das Ziel einer solchen „diversionellen“ Erledigung ist eine bessere spezialpräventive Wirkung, das heißt, eine bessere Abhaltung des Einzelnen von Straftaten als durch herkömmliche Mittel von Schuldspruch und Strafe. Die positiven Erfahrungen mit dem bereits seit mehreren Jahren bestehenden außergerichtlichen Tatausgleich waren sicher mitentscheidend für diese mutige Reform. Ein weiteres Ziel ist die bessere Berücksichtigung der Interessen der Opfer, d.h. die schnellere und umfassendere Befriedigung ihrer materiellen und immateriellen Schäden (=außergerichtlicher Tatausgleich).

Durch die neu geschaffene Regelung kann der Staatsanwalt von der Verfolgung einer strafbaren Handlung unter folgenden Bedingungen zurücktreten:

  1. Zahlung eines Geldbetrages oder
  2. Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder
  3. Bestimmung einer Probezeit (in Verbindung mit Bewährungshilfe) oder Erfüllung von Pflichten oder
  4. außergerichtlicher Tatausgleich.

Weitere Voraussetzung für einen derartigen Rücktritt von der Strafverfolgung ist, dass die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat, das Verschulden des Verdächtigen leicht ist und es sich nicht um eine schwere Straftat handelt (zB bewaffneter Raubüberfall). Die Praxis fordert zudem, dass der Täter nicht vorbestraft sein darf oder bereits früher in den Genuss einer diversionellen Erledigung gekommen ist.

Grundsätzlich entscheidet der Staatsanwalt, welche der oben genannten Varianten der Diversion zur Anwendung kommt.

Gemeinnützige Leistungen kommen praktisch nicht in Betracht, da die gemeinnützigen Einrichtungen aus Haftungsproblematiken fremde Personen nicht vorübergehend unentgeltlich beschäftigen können.

AUSWIRKUNG AUF TÄTER UND OPFER

Diversion ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt ist und der Schaden des Opfers ganz oder teilweise wieder gut gemacht wurde. Beim so genannten „außergerichtlichen Tatausgleich“ wird besonderes Augenmerk auf den Schutz und die Befriedigung der Opferinteressen gelegt. Ansonsten hat der Staatsanwalt nach der Lage des Falles das Bemühen des Täters zur Wiedergutmachung zu berücksichtigen. Das Opfer wird zwar in das Diversionsverfahren einbezogen, hat aber kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung.

Der Täter profitiert davon, dass kein Urteil ergeht und er nicht als vorbestraft gilt. Finanziell wird er in den meisten Fällen jedoch mehr zur Kasse gebeten werden als bisher. Die Gerichte verhängten bei derartigen Delikten oft bedingte Geldstrafen. Bei der Diversion ist solches nicht vorgesehen.

BISHERIGE ERFAHRUNGEN

In Vorarlberg allein haben bis Ende April 500 Verdächtige das Angebot des Staatsanwalts auf diversionelle Erledigung angenommen und ca. ATS 1,4 Millionen an Bußgeldern bezahlt. Etwa 80 % der Diversionsangebote wurden mit Bußgeld erledigt, 10 % mit Setzung einer Probezeit und weitere 10 % mittels außergerichtlichem Tatausgleich. Soziale Dienste wie zB in den USA konnten bisher nicht angeordnet werden, weil die Problematik der Haftung ungeklärt ist.

Der größte Teil der mit Diversion erledigten Straftaten sind Autounfälle mit Verletzten (Ausnahme Alkohol), Nachbarschaftsstreitigkeiten und kleinere Ladendiebstähle. Es wird erwartet, dass die Eintragungen im Strafregister um die Hälfte zurückgehen.

ZUSAMMENFASSUNG

Was strafbar ist, bleibt weiter strafbar. Der Staatsanwalt braucht aber nicht mehr in jedem Fall einen Strafprozess einzuleiten. Mit der Diversion hat er ein Instrument in der Hand, einerseits dem Opfer zu helfen und anderseits den Täter zu belasten ohne ihn zu bestrafen. Schliesslich ergibt sich eine nicht unwesentliche Entlastung der Gerichte. Wenn das Haftungsproblem gelöst wird, können sogar soziale Dienste gefördert werden. Alles in allem eine gelungene Reform, die leider bisher zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit fand.

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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