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Nüchterne Bilanz

Eine kritische Durchleuchtung der groß angekündigten Gewerberechtsnovelle führt zu einer eher nüchternen Bilanz. Der Entwurf zu dieser Regierungsvorlage der Gewerberechtsnovelle wurde Anfang des Jahres 1992 zur Stellungnahme und Begutachtung an 48 verschiedene Dienststellen und Organisationen ausgesandt. Durch die berufsspezifischen Interessen der einzelnen Kammern wurden manche positive Ansätze in dem Entwurf "entschärft", zB wurden die Handwerke nicht wie anfangs beabsichtigt vermindert, auch die Zahl der ge-bundenen Gewerbe wurde nicht derart vermindert wie es im Entwurf vorgesehen war.

Verfahren

Eine der wichtigsten Kritikpunkte der Praktiker ist nicht beseitigt worden. Das behördliche Verfahren zur Erlangung einer Befähigung, insbesondere das sogenannte Nachsichtsverfahren, wurde nicht geändert. In diesem kommt der Handelskammer nach wie vor eine dominierende Rolle zu. Zwar trifft die Entscheidung rein formal juristisch die Behörde (in der Regel die Bezirkshauptmannschaft), es muß jedoch vorher ein Gutachten der Kammer eingeholt werden, das in der Praxis die Entscheidung selbst darstellt. Es kommt noch dazu, daß die Kammer wie ein am Verfahren Beteiligter, ein Rechtsmittel ergreifen kann. Die Kammer ist also Sachverständiger, Entscheidungsbehörde und "Prozeßgegner" des Antragstellers in einem. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die EG-Behörden eine solche Verfahrensübermacht auf Dauer akzeptieren werden.

Diese Regelung ist historisch zu verstehen: Der Gesetzgeber hat Pflichtmitgliedschaft normiert und sieht in den Kammern (wie im Staat selbst) die Hüter des Gemeinwohls. Daß dieses Gemeinwohl vom Innungsmeister (und potentiellen Konkurrenten des Antragstellers) ausgeübt wird, ist rechtspolitisch nicht mehr tragbar. Seine Funktion als Interessensvertreter ist allseits unbestritten und notwendig. Dabei sollte es aber sein Bewenden haben. Bei den staatlichen Behörden wird hinter vorgehaltener Hand zugegeben, daß einzelne Innungen "restriktiv" vorgehen, ihre Macht dazu benutzen, sich vor Konkurrenz zu schützen. Eine radikale Liberalisierung des Verfahrensrechts ist dringend geboten. Die Kammer darf nichts anderes sein, als ein Verfahrensbeteiligter. Die Entscheidung der Behörde muß wirklich unabhängig werden. Insbesondere darf die Stellungnahme der Kammer nur als Äusserung einer der beiden Verfahrensparteien angesehen werden. Gutachten müssen von, am Verfahren nicht beteiligten, unab-hängigen Institutuionen abgeben werden. Prüfungen sollten, wie an Universitäten längst üblich, öffentlich abgehalten werden. Kammervertreter müßten in den Prüfungskommissionen in der Minderheit sein.

Abschaffung der Konzession

Die Abschaffung des konzessionierten Gewerbes stellt in der Praxis keine tatsächliche Liberalisierung dar, da die bedeutsamsten konzessionierten Gewerbe nunmehr fast alle den gebundenen Gewerben bzw. den Handwerken zugeordnet worden sind. Nach wie vor ist eine Befähigung für dieses Gewerbe nachzuweisen. Der Befähigungsnachweis besteht in einer erfolgreich abgelegten, einschlägigen Prüfung (oder in den erfolgreichen Besuch einer Schule), in einer fachlichen Tätigkeit in diesem Gewerbe über einen bestimmten Zeitraum und der erfolgreich abgelegten Unternehmerprüfung. Es entfällt also nur die Konzessionsurkunde.

Einige Beispiele, wie die konzessionierten Gewerbe hin und her geschoben werden, ohne daß sich für einen Antragsteller wesentliches ändern würde: Konzessionierte Gewerbe werden zu Handwerken: Wasser- und Gasinstallateur, Rauchfangkehrer, Elektroinstallateur.
Konzessionierte Gewerbe werden zu gebundenen: Gastgewerbe, Reisebüro, Fremdenführer, Baumeister (hier ist jedoch eine Bewilligung notwendig), Immobilienmakler.

Konzessionierte Gewerbe werden zu freien: Hier findet die eigentliche (bescheidene)
Liberalisierung statt. Kanalräumer, Schlepplifte, EDV, Parfümerie, Schirmmacher.

Handwerk

Für die Zulassung zum Handwerk kann jetzt auch ein Studium ausreichen. Zur Meisterprüfung kommt jedoch die sogenannte "Unternehmerprüfung" hinzu. Diese wird nunmehr auch bei allen gebundenen Gewerben Voraussetzung für den Befähigungsnachweis sein. Der Prüfungsstoff wird noch festgelegt. Er soll so umfangreich sein, daß man danach in der Lage ist, ein Gewerbe in betriebswirtschaftlicher, kauf-männischer und rechtlicher Hinsicht zu führen. Hier stellt sich schon die Frage, ob die Einführung einer solchen neuen, wahrscheinlich sehr schwierigen Prüfung tatsächlich zu einer Liberalisierung führt.

Befähigungsnachweis

Wenn der Gesetzgeber für den Antritt von Gewerben Kenntnisse und Berufspraxis verlangt, so hat dies in erster Linie damit zu tun, daß er keine "Kurpfuscher" auf die Allgemeinheit bzw. die Konsumenten loslassen will. Diese an sich notwendigen Schranken sind im Laufe der Zeit immer mehr dazu verwendet wor-den, neuen Unternehmern den Zugang zu erschweren und sich auf diese Weise unerwünschte Konkurrenz vom Leib zu halten. Wenn die Zugangshürden wirklich darauf beschränkt würden, dem Konsumenten Sicherheit zu bieten, könnte ein sehr großer Teil entfallen. Der mündige Konkurrent und der Markt würden alles andere regulieren. Wer es sich leisten kann, kauft sich die Berechtigung irgendwo ein. Um eine echte Deregulierung im Sinne dieser Überlegungen durchzusetzen, ist es zu allererst erforderlich, den Einfluß der Kammern drastisch zurückzudrängen. Sie sind der Hort des gewerberechtlichen Protektionismus.

EG-reif?

Grundsätzlich ist nochmals festzuhalten, daß es im Bereich der gewerblichen Tätigkeiten kein einheitliches EG-Recht gibt. Die Ordnung der Gewerbetätigkeit ist den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß von vornherein alle Bestimmungen der Novelle EG-konform sind. Insbesondere die Frage der Handhabung von Nachsichtsverfahren und die Anerkennung ausländischer Befähigungsnachweise können in der Praxis zu EG-rechtlichen Streitigkeiten führen.

Durch die teilweise unnötig komplizierten Zugangsregelungen zu den Gewerben werden sich viele EWR-Bürger beim Erlangen eines Gewerbescheines in Österreich diskriminiert fühlen. Es ist anzunehmen, daß diesbezüglich noch viele nachträgliche Änderungen der Gewerbeordnung notwendig sein werden. Ich könnte mir weiters gut vorstellen, daß die EG-Gerichtshöfe die Verfahrensübermacht der Kammern nicht akzeptieren.

Liberalisierungsmaßnahmen, vor allem in Bezug auf den Gewerbeantritt, wurden nicht konsequent durchgezogen. Auch eine Vereinfachung der Sprache und eine Deregulierung der gesamten gewerblichen Wirtschaft wird mit dieser Novelle, welche noch vor Jahresende den Nationalrat passieren soll, nicht erreicht. Auch war das Ausmaß der öffentlichen Diskussion der Bedeutung der Gesetzesänderung nicht angemessen, sie geht vielmehr fast unbemerkt über die Bühne. Mancher wird sich später die Augen reiben, wenn er mit der vermeintlich so liberalen neuen Gewerbeordnung konfrontiert wird.

Rechtsanwälte
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