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Persönliche Gedanken zum Reformvertrag

Die Iren haben den „Vertrag von Lissabon“ abgelehnt, der der EU eine neue Verfassung hätte geben sollen. Rückblickend kann man sagen: „Es war ja nichts anderes zu erwarten.“

Ich habe mich mehrere Tage mit dem Vertragswerk befasst und muss immer noch sagen, dass mir alle Facetten desselben noch nicht geläufig sind. Es stößt an die Grenzen einer Demokratie, ja überschreitet sie, ein solches Vertragswerk den Bürgern zur Abstimmung mit ja oder nein vorzulegen.

Repräsentative Demokratie
Für komplexe Sachverhalte wie diese ist die direkte Demokratie zur repräsentativen Demokratie weiterentwickelt worden. Parlamentarische Abgeordnete arbeiten sich (in Ausschüssen) in den Sachverhalt ein und nehmen danach unser Stimmrecht wahr. Jenen, die die Rückkehr zur direkten Demokratie fordern (das gibt es übrigens auch in der Schweiz nicht uneingeschränkt), möchten wir ein Beispiel unterbreiten. Das Parlament beschließt das Budget. Angenommen, das Volk müsste darüber entscheiden, was käme da heraus? Ja oder Nein? So lange abstimmen, bis irgendein Budget die Zustimmung der Bürger erhält?

Keine Alternative
Was nun den Lissaboner Vertrag betrifft, so muss man einräumen, dass es gegen ihn eine Vielzahl von Einwendungen gibt. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich hier um einen (historischen) Kompromiss zwischen mehr als zwei Dutzend Staaten handelt. Wenn einer eine Verbesserung durchsetzen möchte, dann muss er nicht nur die Zustimmung aller anderen einholen, sondern wird von deren neu formulierten Sonderwünschen geradezu überrollt. Zu diesem Vertrag gibt es keine Alternative – oder doch? Im neuen Vertrag besteht die Möglichkeit, dass ein Land aus der EU austritt. Denjenigen, die der Meinung sind, Brüssel ist die Wurzel allen Übels, steht es frei, sich hiezu um eine Mehrheit zu bemühen. So lange es eine solche Mehrheit aber nicht gibt, werden wir uns mit den mühsamen Kompromissen dieser schwerfälligen Institution abfinden müssen.

Kommunikation
Was sich aber dringend und schnell verbessern muss, ist die Kommunikation der EU-Zentralbehörden mit ihren Bürgern. Die Aussendungen und Publikationen werden zwar in allen Sprachen veröffentlicht, sie sind aber meist derart kompliziert und in Juristen-Deutsch abgefasst, dass man es dem Durchschnittsbürger kaum zumuten kann, sich damit zu beschäftigen und damit den Populisten Tür und Tor öffnet.

Resümee
Welches einzelne Land hätte es beispielsweise zustande gebracht, Kartellstrafen gegen Microsoft, Stromkonzerne etc. auszusprechen? Wäre es möglich gewesen, die Dienstleistungsunternehmensfreiheit europaweit durchzusetzen, wenn 26 Staaten dies mit einzelnen wechselseitigen Verträgen hätten tun müssen. Möchten wir uns heute bei unseren Reisen noch mit italienischer Lira, bulgarischer Lewa oder der schwedischen Krone auseinandersetzen bzw. umständliche Umwechslungen vornehmen?

Wenn man unsere Innenpolitik betrachtet, so hat man bisweilen den Anschein, dass unangenehme Dinge gern den „Brüsslern“ überlassen werden, um einer „Bestrafung“ durch die Wähler zu entgehen. Unangenehme Dinge, wohlgemerkt, die nach allgemeiner Auffassung dringend notwendig sind. Ich halte es jedenfalls für unverantwortlich dem unaufgeklärten Bürger gegenüber, auf diese und andere Weise die EU zum Sündenbock zu machen.

Kollege Dr. Stefan Müller hat sich in den Vertrag von Lissabon vertieft und mit der Frage beschäftigt, ob darüber eine Volksabstimmung sinnvoll und notwendig gewesen wäre. Wenn Sie auch nur einzelne Kapitel seiner umfassenden Darstellung lesen, werden Sie mit uns zur Auffassung kommen, dass es zu dem Vertrag keine Alternative gibt und eine Volksabstimmung den Bürger überfordert hätte – wozu haben wir denn eine repräsentative Demokratie.

Dr. Roland Piccolruaz em.

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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