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Behindertes Kind ein “Schaden“?

Ein Vorarlberger Ehepaar hat mit der beabsichtigten Klage gegen die Republik Aufsehen erregt, wonach festgestellt werden sollte, dass ihr behindertes Kind keinen Schaden darstelle.

Es gehe nicht um Geld, meinen die Eltern, sondern um die Abwehr von Diskriminierung.

Dabei nehmen sie Bezug auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in anderen Fällen, wo den Eltern nach der Geburt von behinderten Kindern Schadenersatz zugesprochen worden ist. Die Diskussion ist mit vielen Missverständnissen behaftet und es lohnt sich, den wahren Kern darzustellen.

Es geht um die Abtreibung

Der sechseinhalbjährige F. ist ein aufgeweckter, intelligenter Bub. Er braucht viel Pflege, viel mehr als andere Kinder seines Alters. Er litt bei seiner Geburt an Meningomyelozele (MMC), einem Defekt an der Wirbelsäule, hat einen Wasserkopf, aus dem ein Schlauch zur Ableitung der überschüssigen Flüssigkeit führt, und Klumpfüße. Starke Medikamente haben seinen Körper angegriffen, etliche Operationen hat er hinter sich, die nächste steht unmittelbar bevor.

Wenigstens finanziell haben die Eltern ausgesorgt: Nachdem bei der Untersuchung der Mutter während der Schwangerschaft in einem Kärntner Spital etwas übersehen wurde, haftet die Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft für sämtliche Lebenshaltungskosten des Kindes, und zwar auch für die Zukunft. Der Oberste Gerichtshof hat erstmals den Eltern eines Kindes, das ohne einen solchen ärztlichen Fehler nicht geboren worden wäre, dem Grunde nach vollen Ersatz sowohl für den Basisunterhalt als auch für den Mehrbedarf zugesprochen, der sich aus der Behinderung ergibt. Für die ersten viereinhalb Lebensjahre machten die Eltern 204.578,52 Euro geltend (die genaue Höhe wird jetzt noch geklärt).

Wäre die Behinderung (Hinweise darauf hat eine unerfahrene Ärztin in der Risikoambulanz übersehen) rechtzeitig erkannt worden, so hätten die Eltern diesbezüglich aufgeklärt werden können und aus damaliger Sicht hätten sie die Schwangerschaft abbrechen lassen, was sie hätten tun dürfen und zur Folge gehabt hätte, dass sie keinen Unterhalt für ein Kind zu zahlen haben.

Während das Erstgericht lediglich den Mehrbedarf infolge der Behinderung zugesprochen hatte, war schon das Oberlandesgericht der Meinung, dass der gesamte Unterhalt ersetzt werden müsse. Dem stimmte auch der Oberste Gerichtshof zu: „Den Eltern erkennbar drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes vorzuenthalten und ihnen die Möglichkeit eines gesetzlich gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruches zu nehmen, kann nicht folgenlos bleiben.“

Festzuhalten ist also, dass kein Gericht ausgesprochen hat, ein behindertes Kind sei ein Schade. Es wurde nur geurteilt, dass durch einen Fehler der Ärztin den Eltern die Möglichkeit genommen worden ist, selbst zu entscheiden, entweder eine Abtreibung vorzunehmen oder das Kind zur Welt zu bringen.

Die Kritik

Die Kritiker dieses Urteils wenden ein, das Urteil gehe von der bedenklichen Philosophie aus, dass Eltern einen Anspruch, ja das Recht auf ein gesundes Kind haben. Bei der übersehenen Diagnose (die spätere Missbildung hätte leicht erkannt werden können) handelt es sich weder um eine aktive Schädigung eines zuvor gesunden Kindes noch eine Fehlbehandlung des Arztes, noch die Verzögerung einer möglichen Therapie. Das Ausbleiben der Diagnose habe lediglich „zur Folge gehabt, dass ein Mensch – wenn auch schwer behindert – lebt und nicht abgetrieben wurde“. Ein behindertes oder krankes Kind könne per se kein „Schadensfall“ sein. Es sei vor allem und unumstößlich ein Mensch, der trotz aller Behinderung ein Recht auf Leben und würdevolle Behandlung habe. Die OGH-Entscheidung werde, so die Kritiker weiter, für den medizinischen Alltag, insbesondere hinsichtlich Schwangerschaftsunterbrechungen, gravierende Folgen haben. Angesichts dieser Rechtsprechung würden Gynäkologen dazu angehalten, im geringsten Zweifelsfall für eine Abtreibung zu plädieren und so eine Absicherungsmedizin zum Nachteil gesunder Kinder und deren Eltern zu betreiben.

Diese Kritik veranlasste die Präsidentin des OGH den Standpunkt der Richter der Öffentlichkeit noch einmal darzulegen. In Österreich gilt die Fristenlösung, ein Gesetz, an das die Richter gebunden sind. Dies beinhaltet die Möglichkeit, unter bestimmten, genau festgelegten Umständen, ein Kind abtreiben zu dürfen. Den Richtern ist es verwehrt, Wert oder Unwert der Fristenlösung in ihr Urteil einzubeziehen. Tatsache sei, dass bei Untersuchungen während der Schwangerschaft festgestellt werden könne, ob das Kind behindert sein werde oder nicht. Es bestehe die Verpflichtung für Ärzte, die Eltern darüber aufzuklären. Ob diese dann von ihrem Recht auf Abtreibung Gebrauch machen oder nicht, sei deren gesetzlich verbrieftes Recht. Wenn nun bei der Behandlung Fehler gemacht würden, so sei ihnen faktisch dieses Recht genommen worden. Ein Schadenersatz stehe nur dann zu, wenn die Eltern erklären, dass sie eine Abtreibung vornehmen hätten lassen, wäre ihnen der Befund zur Kenntnis gekommen. Sagen die Eltern hingegen, sie hätten das Kind auch in einem solchen Falle nicht abgetrieben, dann steht – das mag makaber sein – kein Schadenersatzanspruch zu. Das Werturteil fällen aber nicht die Richter. Im Schadenersatz gäbe es keine Abwägung finanzieller Nachteile gegen ideeller Vorteile (Freude am Kind). Überdies sei dem behinderten Kind nicht geholfen, wenn man die Ärzte aus der Haftung entlässt.

Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass die Rechtsauffassung des österreichischen Höchstgerichts sich mit der Rechtsprechung jener Länder deckt, in denen die Fristenlösung gilt.

Zusammenfassung

Es ist ein Missverständnis, wenn man glaubt, die Gerichte maßen sich an, ein behindertes Kind als „Schaden“ einzustufen. Es besteht das Recht der Eltern, zu wissen, ob das Kind, das sie erwarten, gesund oder behindert sein wird und von ihren Rechten, die ihnen das Gesetz gibt (Abtreibung), Gebrauch zu machen oder eben nicht. Es ist letztlich ihre Entscheidung, ob sie sich in diesem Recht durch die falsche Diagnose geschädigt fühlen, weil sie ein Kind aufzuziehen haben, dessen Geburt sie nicht gewollt hätten, wenn ihnen rechtzeitig mitgeteilt worden wäre, dass es behindert sein wird. Dass die Existenz eines jeden Menschen etwas unendlich Kostbares ist, bedeutet nicht, dass man diesen Umstand gegen aus dem Gesetz abgeleitete Schadenersatzansprüche „gegenrechnen“ kann. Ideelle Werte haben im geltenden Recht, insbesondere im geltenden Schadenersatzrecht, eben keinen Platz. Die Richter haben sich daran zu halten, sodass man ihnen dies nicht zum Vorwurf machen kann.

Dr. Petra Piccolruaz

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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Vorarlberg, Österreich

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