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Verfahrenshilfe

Bedürftigen stellt der Staat den Anwalt
Wenn eine Partei die Kosten eines Gerichtsverfahrens nicht bezahlen kann, wird auf Antrag vom zuständigen Gericht Verfahrenshilfe bewilligt. Die Prozessführung darf jedoch weder mutwillig noch aussichtslos sein. Die Verfahrenshilfe kann sowohl für Zivil- als auch für Strafprozesse und für die Vertretung vor den Öffentlichen Gerichtshöfen in Anspruch genommen werden.

Umfang
Im Rahmen der Verfahrenshilfe kann die Befreiung von Gerichtsgebühren, Zeugengebühren, Kosten für Dolmetscher und Sachverständige gewährt werden. Wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich vorgeschrieben oder nach der Lage des Falles erforderlich ist, wird ein Rechtsanwalt unentgeltlich beigegeben.

Dabei zu beachten gilt aber, dass die Verfahrenshilfe nicht jene Kosten erfasst, die dem Gegner bei Prozessverlust zu ersetzen sind. Außerdem ist eine Partei, die Verfahrenshilfe in Anspruch nimmt, zur Nachzahlung der Verfahrenshilfekosten verpflichtet, wenn sie innerhalb von 3 Jahren zu Geld kommt. Dies ist aus meiner Sicht eine Bestimmung, die kaum angewandt wird und fast schon „totes Recht“ darstellt.

Freie Anwaltswahl?
Verfahrenshilfe wird auf Antrag durch das zuständige Gericht bewilligt. Es muss ein aktuelles Vermögensbekenntnis abgegeben werden. Die Auswahl des Verfahrenshelfers obliegt der Anwaltskammer. Beim Verfahrenshilfeantrag besteht zwar nicht die Möglichkeit, sich den Anwalt auszusuchen, es ist jedoch möglich, einen bevorzugten Anwalt anzugeben. In diesem Fall sollte jedoch vorher mit diesem Anwalt Kontakt aufgenommen werden, um abzuklären, ob er bereit ist, diese Verfahrenshilfe anzunehmen. Sonst wird einer zugewiesen.

Unentgeltlichkeit
Der Anwalt erhält für seine Tätigkeit im Rahmen der Verfahrenshilfe kein Entgelt. Eine von dritter Seite aus freien Stücken angebotene Entlohnung oder eine nach Abschluss der Vertretung von der Partei angebotene Entlohnung ist jedoch zulässig. Zu einer Entlohnung kommt der Verfahrenshelfer dann, wenn er im Zivilprozess obsiegt und dem Gegner die Kosten auferlegt werden. Im Strafprozess gibt es diese Möglichkeit nicht.

Ganz „umsonst“ sind diese Leistungen trotzdem nicht, denn der Bund hat für alle Verfahrenshilfeleistungen jährlich eine angemessene Pauschalvergütung an die einzelnen Rechtsanwaltskammern zu bezahlen. Diese Pauschalvergütung wird für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung verwendet. Diese Leistungen werden jedoch vom Bund nicht 1:1 ersetzt, sondern ungefähr ein Viertel der verzeichneten Kosten werden unter dem Titel „Sozialabschlag“ abgezogen. Die Anwälte erbringen daher durch die Akzeptanz dieses Sozialabschlages einen substanziellen finanziellen Solidarbeitrag zum Erfolg der Verfahrenshilfe.

Statistik
Verfahrenshilfe in Strafsachen:
Anzahl der jährlichen Bestellungen ca. 13.000, verzeichnete Kosten ca. € 15 Mio.

Verfahrenshilfe in Zivilsachen:
Anzahl der Bestellungen ca. 8.000, erbrachte Leistungen ca. € 9 Mio.

Eigene Erfahrungen
In einem rechtsstaatlichen System muss jedem - auch dem wirtschaftlich Schwächsten - der Zugang zum Recht gewährt werden. Die Einrichtung der Verfahrenshilfe gehört daher zu den wesentlichen Institutionen eines sozialen Prozessrechtes. Durch die verpflichtende Übernahme von Verfahrenshilfemandaten erbringen die Anwälte einen beachtlichen Beitrag dazu. Dass die Leistungen der Anwälte unter denselben standes- und haftungsrechtlichen Voraussetzungen stehen wie frei gewählte Mandate, versteht sich von selbst.

Aber auch hier gibt es, wie überall im Sozialnetz, Leute, die solche Einrichtungen missbrauchen. Unsere Anwaltskanzlei wurde einmal für einen rechtskräftig verurteilten Betrüger zum Verfahrenshelfer bestellt. Es sollte eine Schadensersatzklage über mehrere Millionen ATS eingebracht werden. Wir kamen zur Auffassung, dass die Prozessführung (gegen einen früheren Vorgesetzten) keinerlei Aussichten auf Erfolg hat. Obwohl wir den Mandanten darüber belehrten, bestand er auf der Prozessführung.

Tragisch ist so etwas für den Gegner. Er muss sich einen Anwalt nehmen. Wenn er den Prozess gewinnt, hat er zwar Anspruch auf Kostenersatz, dieser nützt ihm aber nichts, wenn der Gegner vermögens- und einkommenslos ist. Er muss dann seinen Anwalt selbst bezahlen. Der Gegner machte das einzig Richtige und beantragte den Entzug der Verfahrenshilfe wegen mutwilliger Prozessführung. Damit hätte aber das Gericht, noch bevor der Prozess eingeleitet wird, rechtskräftig aussprechen müssen, dass unter gar keinen Umständen ein Prozesserfolg stattfinden könne. So weit wollte das Gericht jedoch nicht gehen, sodass es dann zu dem Verfahren kam. Es blieb uns nichts anderes übrig, als dort die Auffassung des Klägers nach besten Kräften zu vertreten. Das Urteil war negativ. Wir mussten aber Rechtsmittel bis zum Obersten Gerichtshof einlegen. Obwohl er den Prozess gewonnen hat, war die Sache für den Gegner eine kleine wirtschaftliche Katastrophe.

Einer unserer Anwälte hatte als Verfahrenshelfer (damals hieß es noch Armenanwalt) einen Verkehrssünder zu vertreten. Er besuchte ihn in der Haftanstalt. Der junge Mann wirkte geknickt. Er hatte in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht und schon ein Geständnis abgelegt. Eine Frau war getötet worden. Die Informationsaufnahme ergab folgenden Sachverhalt: Der junge Mann hatte auf einem Sommerfest eine junge Frau kennen gelernt, die er nach Hause führte. Am Morgen wurde er von der Gendarmerie geweckt. Sie besichtigte sein Auto und stellte fest, dass es Schäden an der rechten Seitentür aufwies. Auch der rechte Scheinwerfer war zertrümmert, weiters war der Gartenzaun beschädigt. Niemand, auch der Beschuldigte selbst nicht, hatte einen Zweifel daran, wer für den Tod der Frau verantwortlich war. Die Gendarmerie hatte die Spuren gesichert. Bei der Toten wurden Glassplitter eines Scheinwerfers gefunden, vom Unfallauto hatte man eben solche entnommen. Der „Armenanwalt“ stellte routinemäßig den Antrag, diese Proben zu vergleichen und siehe da, es stellte sich heraus, dass sie nicht vom gleichen Fahrzeug stammten, dass also der Inhaftierte gar nicht der Täter sein konnte. Wer der eigentliche Täter war, wurde übrigens nie aufgeklärt.

Ich selbst wurde kürzlich für einen inhaftierten Mann zum Verfahrenshelfer bestellt. Er war des versuchten Mordes an seiner Ehegattin angeklagt (vgl. Presseberichte). Es versteht sich von selbst, dass ich mich mit der Rechts- und Sachlage intensiv auseinander setzte. Dabei kam ich zur Auffassung, dass ein so genannter „Rücktritt vom Versuch“ vorlag. Die Geschworenen schlossen sich meiner Meinung an und sprachen den Angeklagten frei. Er konnte als freier Mann den Gerichtssaal verlassen. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Rolle des Anwaltes nichts mit persönlicher Sympathie oder den eigenen Wertauffassungen zu tun hat. Wir haben im rechtsstaatlichen System eine bestimmte Funktion, nämlich die, darauf zu achten, dass die Rechte aller Bürger, insbesondere auch Angeklagter gewahrt werden, was auch immer man ihnen zur Last legt. Wie wichtig diese Aufgabe ist, erkennt man erst dann, wenn man Gesellschaften beobachtet, in denen es keine freie Anwaltschaft gibt. Der Bürger ist dann den Behörden und der Staatswillkür ohnmächtig ausgeliefert.

An einer Strafe wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung kam der Mann nicht vorbei, aber eben am Mordversuch, was eine langjährige Haftstrafe (mindestens 10 Jahre) zur Folge gehabt hätte.

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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