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Meinung: Bürokratie überwuchert Unternehmertum

Die Beobachtungen meines Kollegen Dr. Müller in Brüssel haben uns eindrücklich bestätigt, was wir immer schon kritisierten. Österreich ist das am stärksten bürokratisierte Land Europas. In der augenblicklichen politischen Situation ist dieses Problem nicht in den Griff zu bekommen. Eine selbstkritischen Analyse, der Anfang jeder Reorganisation unterbleibt wegen der bestehenden parteipolitischen Verflechtungen. Es bleibt bei Absichtserklärungen. Gerade wir Anwälte haben einen guten Einblick in diese Problematik und sind verpflichtet, uns bei gegebenem Anlaß zu äußern. Dies will ich hiermit tun.

Verwaltung

Der Begriff Bürokratie ist hierzulande negativ besetzt. Eigentlich zu Unrecht. Die Verwaltung ist zusammen mit der Justiz der Garant unseres Rechtsstaates. Ich bin der Auffassung, daß ein Zusammenhang zwischen der Qualität der staatlichen Verwaltung und dem Grad der Rechtssicherheit besteht, die in einem Land herrscht. Die mittel- und nordeuropäischen Länder z.B. besitzen die höchste Bürokratiequalität, andererseits - verglichen mit anderen Regionen der Welt - auch die größte Rechtssicherheit. Diese Feststellungen müssen jeder Kritik vorausgeschickt werden.

Wenn nun in der öffentlichen Diskussion das Wort "Bürokratie" abschätzig gebraucht wird, dann deshalb, weil wir hier in Österreich an deren Auswüchsen leiden, an der Überbürokratisierung. Noch einmal: Solange sich öffentliche Verwaltung an ihre ureigensten Aufgaben hält und ihr Wachstum effizient kontrolliert wird, ist sie eine Lebensversicherung für jedes demokratische
Gemeinwesen. Das Problem ist die Kontrolle. Bei ungehemmten Wachstum verwandeln sich die Vorzüge der Bürokratie bisweilen geradezu in das Gegenteil. Um dies darzustellen möchte ich zuerst das Augenmerk auf die Gesetzmäßigkeiten lenken unter denen sich eine Bürokratie entwickelt.

Gesetzmäßigkeiten

In den 60er Jahren hat der Harvard Professor J. Kenneth Gailbraith, ein Berater Präsident Kennedys, die Gesetzmäßigkeiten untersucht, unter denen "Bürokratie" entsteht, sich verselbständigt und schließlich den Organismus, den es zu verwalten gilt, überwuchert, bisweilen sogar tötet. Die Entwicklung geht schleichend vor sich, beginnt harmlos.

Der Firma geht es gut, noch. Dem Abteilungsleiter X gelingt es, den Vorstand zu überzeugen, daß er eine Vorzimmerdame (oder ein anderes Statussymbol) dringend braucht. Damit ist für den Abteilungsleiter Y klar, daß er deren zwei benötigt. Schließlich ist er länger im Betrieb, hat die wichtigeren Aufgaben, hat viel mehr zu tun oder schlicht die besseren Beziehungen zum Vorstand etc. Eine sachliche Rechtfertigung für seine Wünsche zu finden, ist meist einfacher als die entsprechenden Räumlichkeiten. Ein Kinderspiel dagegen ist es, zusätzliche Arbeitsgebiete zu erschließen, sodaß die vergrößerte Abteilung bald wieder an die Grenzen ihrer Kapazität stößt. Kosten fallen anderswo an, dieses Problem berührt weder den X noch den Y. Das Spiel beginnt von Neuem. Überspitzt ausgedrückt: Jede Bürokratie schafft sich, wenn nötig, ihre Existenz-(Wachstums-)berechtigung selbst. Daher ist ihr Tätigkeitsumfang ständig zu hinterfragen.

Gailbraith, der vornehmlich Verwaltungen von Aktiengesellschaften beschrieb, machte folgende Beobachtung: Die "erfolgreichsten" Bürokratien sind jene, die den Aktionären gerade so viel an Dividende ausschütten, daß sie von ihnen in Ruhe gelassen werden. Die Differenz zum "wirklichen" Gewinn wird firmenintern "verbraten" und zwar in Form nicht nur von Vorzimmerdamen, sondern ganzen Abteilungen, luxuriösen Büros, Autos, Prämien, Gehaltserhöhungen, ja sogar Bürohäusern; der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt (ist Ihnen schon aufgefallen: Das Büro oder Auto eines Firmeneigentümers, der diese auch leitet, ist in aller Regel wesentlich bescheidener als jenes eines Geschäftsführers in vergleichbarer Position). Management und Gewerkschaftsfunktionäre arbeiten Hand in Hand, schließlich werden ja neue Arbeitsplätze geschaffen.

Eine Rückbildung dieser Fehlentwicklung findet statt, wenn die Gesellschaft rote Zahlen schreibt. Es stellt sich dann oft heraus, daß eine, manchmal sogar zwei oder mehrere Ebenen der Verwaltungshiarchie überflüssig sind und ohne Nachteil für das Unternehmen entfernt werden können („Clean Managment"). Gegen diese Gesetzmäßigkeiten des Verwaltungswachstums sind weder besonders innovative, noch hervorragend geführte Firmen gefeit ( IBM, ,Daimler-Benz), vom "geschützten" Bereich ganz zu schweigen.

Der Staat

Dieser Regelungsmechanismus funktioniert im staatlichen Bereich nicht. Die Beschäftigten sind pragmatisiert. Die "Verluste" werden in Form von Steuern auf die Bevölkerung überwälzt. Es liegt in der Natur der Sache, daß in sozialistisch regierten Staaten (der Staat verteilt den Wohlstand) die Bürokratie besonders günstige Wachstumsbedingungen vorfindet.

Erst dann, wenn der Souverän überfordert wird und weitere Belastungen politisch bestraft, erfolgt ein Umdenken. Das Staatsschiff ist mit einem schwerfälligen Tanker zu vergleichen, der dann aber nur mit großer Mühe auf einen neuen Kurs gebracht werden kann.

Eine Sonderstellung nehmen halb- oder quasi staatliche Organisationen ein, wie sie in Österreich nicht gerade selten sind und das wahre Ausmaß der öffentlichen Bürokratisierung verschleiern (Bundesbahn, Sozialversicherungen, Kammern, E-Wirtschaft usw.; Fachjargon: "geschützter Bereich"). Sie haben gemeinsam, daß sie ihre Einnahmen nicht auf dem freien Markt, im Wettbewerb, erkämpfen müssen. Allfällige Verluste bzw. Kosten werden schlußendlich von der Gemeinschaft getragen. Von der öffentlichen Verwaltung unterscheiden sie sich dadurch, daß ihre Gebarung, meist unter Hinweis auf eine (angebliche) Autonomie, einer externen Kontrolle faktisch entzogen wird (die Kontrollore, so vorhanden, sind vom gleichen Coleur wie die Kontrollierten). Sie können so weitgehend autonom festlegen, welche Tätigkeitsfelder sie bearbeiten und wie hoch der personelle Einsatz sein soll. Sie sind für Bürokratieauswüchse deshalb "anfälliger" als die staatliche Verwaltung; nicht selten dienen Sie den Parteien für gutbezahlte Outplacements von Gesinnungsgenossen. Einzelne dieser Organisationen stossen freilich auch an Grenzen. Dies tritt immer dann zu Tage, wenn aus dem Budget beizusteuernden Mittel politisch nicht mehr unstrittig sind oder dem Bürger eine Gebührenerhöhung zugemutet werden müßte (ORF).

Wenn man diese Gesetzmäßigkeiten, die überall auf der Welt zu beobachten sind, ernst nimmt, dann glaubt man nicht an Beteuerungen von Bürokraten, sie wollten eine interne Abschlackung des Apparates vornehmen. Sie wären ja ein Verräter an der eigenen und gemeinsamen Sache und würden wohl kein leichtes Leben mehr haben. Solche Erklärungen (intern abzurüsten) sind meist nur augenzwinkernde Ablenkungsmanöver, um Eingriffe von außen abzuwehren. Es ist naiv zu glauben, daß in Bürokratien eine der Gemeinschaft verantwortliche Selbstbeschränkung stattfinden wird. Das wäre auch, ehrlich gesagt, zu viel verlangt.

Beispiel AK

In Österreich gibt es eine schlagkräftige und einflußreiche Vertretung der Arbeitnehmerschaft, den Gewerkschaftsbund. Der Organisationsgrad ist in keinem westlichen Land so hoch wie bei uns. Ohne den ÖGB geht in Österreich nichts, zumal er sich der sozialistischen Partei als politischer Speerspitze bedienen kann, die seit Jahrzehnten regiert.

Daneben gibt es nun eine gesetzliche Arbeitnehmervertretung. Die funktioniert im Unterschied zum ÖGB mittels Pflichtmitgliedschaft. Man müßte nun annehmen, daß die Führung der Arbeiterkammer irgendwann einmal in eine Sinnkrise verfällt. Schließlich haben beide Organisationen ein fast identisches Tätigkeitsfeld.

Eine "echte Bürokratie" hat dies noch nie angefochten. Im konkreten Fall besteht um so weniger Anlaß dazu, als die Kammerumlage in weiser Voraussicht mit einem gewissen Prozentsatz des Bruttolohnes festgelegt wurde. Damit ist das gedeihliche Wachstum der Kammerbürokratie auf ewige Zeiten gesichert. Die Bruttogehälter erhöhen sich ständig, die Kammerumlage mit ihnen. Der Finanzminister profitiert von der Steigerung der Lohnsteuer auf ähnliche Art und Weise. Er ist immerhin so anständig, von Zeit zu Zeit eine Anpassung vorzunehmen. Nur ein naiver Mensch erwartet, daß die Arbeiterkammer eines Tages erklärt, sie habe nun genügend Geld für ihre Aufgaben und brauche vorläufig keine weitere Erhöhung.

Um die reichlich fließenden Mittel ausgeben zu können, werden immer neue Bereiche erschlossen, in denen angeblich Arbeitnehmerinteressen vertreten werden müssen, wie es das Gesetz verlangt. So hat sich die Vorarlberger Arbeiterkammer zB an Reiseveranstaltungen beteiligt, sie gibt Kurse jeglicher Art, um der Bevölkerung die Freizeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Bisweilen werden Recherchen über die privaten Verhältnisse mißliebiger (kammerkritischer) Politiker angestellt und im Anschluß daran interne Prozeßserien ausgefochten. Wahlkämpfe für parteigebundene Präsidentschaftskandidaten nehmen zu gewissen Zeiten viele Ressourcen in Anspruch. Amüsiert verfolge ich, mit welcher moralischer Entrüstung die Arbeiterkammer die Gebührenpolitik der Banken (ein anderes Bürokratieeldorado - Filialdichte!) kommentiert oder wie sie mit großem publizistischen Aufwand kleine Unzukömmlichkeiten von Firmen anprangert. Auch die sachkundige Untersuchung der Schiliftpreisen entbehrt nicht einer gewissen Komik (vergleichen Sie einmal die diesbezüglichen AK-Recherchen mit der Fülle an Details, die der billigste Schiatlas enthält). Soviel Kritikwut sollte sie einmal in eigener Sache aufwenden. Für Beschäftigten der AK gilt jedenfalls der Grundsatz, daß Fehlleistungen (oder gar keine) ohne Konsequenzen bleiben - alle sind pragmatisiert. Zur Zeit sind die fähigsten Köpfe damit beschäftigt, für die Urabstimmung 1996 eine Fragestellung zu finden, die die Doppelgleisigkeit zwischen AK und ÖGB versteckt und die Abschaffung der Kammer mit dem Einsturz des Staatsgebildes gleichstellt.

Man kann sich leicht vorstellen, welche Rationalisierungsreserven in den Arbeiterkammern vorhanden wären, wenn man an die Vorgänge beim ORF denkt. Da Gebührenerhöhungen nicht mehr durchsetzbar sind, kommt es dort zu einer längst fälligen, schlußendlich aber doch erstaunlichen Reorganisation. Die dynamische Gebührenregelung bei der Kammerumlage verhindert dies für alle Zeiten.

Es ist aus der Sicht der Arbeiterkammer verständlich, daß sie sich gegen jegliche externe Kontrolle wehrt. Sie verweist darauf, daß sie nur ihren Mitgliedern verantwortlich ist, wohlwissend, daß eine echte Kontrolle durch sie, die Mitglieder, niemals stattfinden wird. Diese wird nämlich an deren Stelle ausgeübt von - erraten: den Parteien, und zwar von jenen, die auch die Funktionäre stellen. Das Ergebnis ist bekannt. Unter politischem Druck (nach der Aufdeckung schwerer Mißstände) wurde zwar eine Prüfung durch den Rechnungshof eingeführt, sie ist aber derart begrenzt, daß es nie zu einer Zurückbindung oder gar Hinterfragung der Arbeiterkammerbürokratie kommen wird. Der Rechnungshofpräsident selbst hat sie mehr oder weniger deutlich als Alibiaktion bezeichnet.

Diese Ausführungen dürfen nicht etwa als pauschale Kritik an den Verwaltungen aller Kammern mißverstanden werden. Jene der Freiberuflerkammern zum Beispiel sind mustergültig; sie sind schlank bis spartanisch. Die Funktionäre sind samt und sonders ehrenamtlich und im übrigen in ihrem angestammten Beruf tätig, politische Verfilzung findet nicht statt. Daß sich hier keine "Bürokratie" im negativen Sinne gebildet hat, führe ich, neben der Überschaubarkeit, auf die effiziente, direkte Kontrolle durch die Mitglieder und eine transparente Gebarung zurück. Eine Tätigkeitsausweitung, die mit dem eigentlichen Kern der Interessensvertretung nichts zu tun hat, würde sofort auf erbitterten Widerstand stoßen. Die Umlagen werden Jahr für Jahr und zwar von der Mitgliederversammlung beschlossen. Da bleibt kein Spielraum für Verschwendung. So hat sich der Gesetzgeber die Kammern wahrscheinlich vorgestellt, als er sie schuf. Bei den kleinen Kammern ist die Überbürokratie ist jedenfalls kein zwingender Ausfluß der Pflichtmitgliedschaft, bei den grossen verursacht sie sie mit, weil sie keine Kontrolle zuläßt.

Bei den Großkammern verhindern eine Reihe von weiteren Faktoren ein Zurückbinden der Verwaltung. Sie sind faktisch als "Vorfeldorganisationen" der beiden Koalitionsparteien angelegt und organisiert. Ihre Tätigkeit üben sie im Gleichklang mit der jeweiligen Mutterpartei aus und zementieren so den Einfluß auf das Gemeinwesen über deren Regierungszugehörigkeit (zeitlich und sachlich) hinaus. Die Umlagen (Kosten der Kammern) belasten das Budget nicht. Sie werden also nicht als Steuern empfunden, obwohl sie es faktisch sind.

Aus all diesen Gründen besteht bei den (ehemaligen) Großparteien keine Motivation solche "historisch gewachsene" Gebilde zu beschneiden, zumal sich solche schützenswerte Wesen in jeder der beiden Reichshälften befinden.

Diese Überlegungen treffen – mit Abweichungen – auch auf andere quasi staatlichen Großorganisationen zu, wie zB die Sozialversicherung, E-Wirtschaft etc. DDSG, Konsum und HTM haben das Wirken ihrer Bürokratie nicht überlebt und wurden oder werden "entsorgt".

Kontrolle

Staatliche oder parastaatliche Organisationen zurückzubinden, ist in erster Linie eine politische Aufgabe. Wegen der Verflechtungen der Regierungsparteien mit diesen, dürfen wir solches im Augenblick nicht erwarten. Dazu muß man sich (ich wiederhole mich teilweise bewußt) die momentane politische Situation vergegenwärtigen: Die beiden Regierungsparteien haben den Staat total im Griff. Die in der Verfassung vorgesehene Gewaltentrennung zwischen Gesetzgebung und Vollziehung ist zu Gunsten eines Durchgriffsrechtes der Parteien(Koalitionsausschuß) bzw. der Sozialpartnerschaft praktisch aufgegeben worden. Die Einstellung von Beschäftigten in den Staatsdienst oder in die oben beschriebenen parastaatlichen Organisationen wird seit jeher nach parteipolitischen (Proporz-) Gesichtspunkten entschieden, wovon übrigens auch Privatbetriebe betroffen sind, an denen der Staat maßgeblich beteiligt ist. Dieses (dem Sinn der Verfassung widersprechende) Machtmonopol der beiden Großparteien verhindert umgekehrt, daß sie jetzt gegen ihre Klientel schmerzhafte Reorganisationsmaßnahmen durchzuführen in der Lage wären. Eine Änderung in dieser Denkungsweise scheinen auch Wahlniederlagen nicht bewirken zu können. Die "Koalition neu" hat die Österreich zustehenden EU-Posten gleich nach der Wahl ungerührt nach dem alten Proprozstrickmuster zu besetzen versucht.

Die großen Kammern sind nur auf dem Papier reine Interessensvertretungen wie z.B. jene der Freiberufler. In Wirklichkeit stehen sie, wie schon erwähnt, unter dem Einfluß jeweils einer der beiden Koalitionsparteien, sie sind parteipolitische Instrumente. Sie erinnern sich sicher daran, wie seinerzeit der Sieg des ÖAAB-Funktionärs Bertram Jäger bei der Wahl zum Präsidenten der AK Vorarlbergs als Einbruch in eine rote Domäne gefeiert wurde. Verräterisch, oder? Noch erhellender der Fall Gorbach: Weil seine Partei (!) die Pflichtmitgliedschaft in Frage stellt, sollte er in einer konzentrierten Aktion von Rot und Schwarz fertig gemacht werden. Mit bekannt präzisen AK-Recherchen wurde sein Abschuß vorbereitet: Alles zum Wohle der Arbeitnehmerschaft. Daß der Schuß nach hinten losging, blieb für die Akteure dieser Politposse folgenlos. Bei jedem drittklassigen Fußballverein wäre der gesamte Vorstand zurückgetreten. Verantwortung für ein solches Desaster tragen zu müssen, verhindern Beamtenrecht, Pflichtmitgliedschaft und große Koalition! That's Austria.

Es ist nicht anzunehmen, daß sich die Parteisekretariate diese Werkzeuge
dadurch aus der Hand nehmen lassen, daß sie eine Privatisierung oder gar Entpolitisierung zulassen. Der Einfluß dieser Kammern auf Gesetzgebung und Verwaltung - und damit jener der sie beherrschenden Parteien (Doppelfunktionen!) - ist gesetzlich festgeschrieben und unterliegt daher nicht den Fährnissen demokratischer Willensäußerungen, wie zB. Nationalratswahlen. Die Regierungsparteien können so eine Macht konservieren, die ihnen auf Grund politischer Verschiebungen einmal möglicherweise nicht mehr zustehen wird. In dieser Sache sitzen sie in einem Boot. Von keiner der beiden ist ein Deregulierungsvorschlag zu erwarten. Im Gegenteil, sie werden mauern, solange es geht.

Auch den Einfluß auf andere staatsnahen Organisationen werden die beiden Parteien freiwillig kaum aufgeben. Dort (Banken, E-Wirtschaft und dgl.) geht es um Wirtschaftspolitik, Personalhoheit und ähnliches. Rationalisierungen werden sie kaum verordnen wollen. Das macht unbeliebt und behindert die Unterbringungsmöglichkeiten für Parteigänger und Gewährsleute. Die Kosten zu großer Bürokratien in derartigen Gebilden ist der Öffentlichkeit schwer transparent zu machen. Teils fehlen Wettbewerber als Maßstab, teils begnügt sich der Staat bewußt mit einer bescheidenen Dividende und deckt so solche "Reibungsverluste" - zu Lasten des Budgets.

Die Parteien lassen sich ihren Einfluß etwas kosten – das Geld des ahnungslosen Bürgers.

Medien

Der Rechnungshof kann nur grobe Mißbräuche aufzeigen, zu einer Strukturkritik ist er nicht legitimiert. Es bleibt daher nur (neben der Oppositionsarbeit natürlich, die aber erfolgreich dämonisiert wird, sodaß man sie nicht ernst zu nehmen braucht) die kontinuierliche kritische Berichterstattung durch unabhängige Medien. Insbesondere sollte aufgezeigt werden, welche politische Partei für welchen Protegé zu haften hat und wieviel das Ganze dem Bürger jährlich kostet. Es müßte auch dargestellt werden, daß die private Organisation von Interessensvertretungen in Österreich (anderswo sowieso) bereits bestens funktioniert. Der ÖGB und die Industriellenvereinigung beweisen dies schlagend.

Zum modernen Massenwohlstand zB gehören u.a. die billigen Flugpreise. Sie sind das Ergebnis einer Deregulierung, die ein konservativer Querkopf Namens Ronald Reagan letztlich durchgesetzt hat. Sie können sich vorstellen, wie viele Bürokratien bei Fluggesellschaften abgespeckt werden müßten. Ich wünschte mir, es gelänge den Medien, den Zusammenhang zwischen Überbürokratisierung und Wohlstandseinbußen allgemeinverständlich darzustellen. Dann würden wir schnell weiterkommen.

Pflichtmitgliedschaft

Für die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft gibt es Dutzende von Gründen. In diesem Rahmen sei lediglich auf die durch sie verursachte Verschwendung hingewiesen und darauf, daß eine Organisation, die ihre Mitgliedsbeiträge jährlich rechtfertigen, durch die Mitglieder beschließen lassen und schließlich selbst einkassieren müßte, sich eine Überbürokratisierung nicht leisten könnte. Sie wäre schlank und schlagkräftig. Eine ganze Reihe von Nebenerscheinungen (Parteiverfilzung, bzw –abhängigkeit, Versorgungsjobs etc.) würden höchstwahrscheinlich verschwinden. Allerdings wäre ständig auch die Daseinsberechtigung nachzuweisen, die zumindest bei der AK durch eine gesetzliche Vorschrift ersetzt wird.

Wir dürfen alle gespannt sein, wie sich die verschiedenen Politiker, Parteien und ihnen nahestehende Medien, anläßlich der Kampagne zur Urabstimmung 1996 äußern werden. Wahrscheinlich wird man Kammerkritiker als Feinde der II. Republik abstempeln, das erspart das Nachdenken.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die AK macht viele nützliche (und manche weniger nützliche) Dinge. Es gibt aber keine einzige Leistung, die nicht von der anderen Interessensvertretung erbracht werden könnte oder von privaten Organisationen; von diesen wahrscheinlich effizienter und im Endeffekt billiger. Vor allem aber gibt es kein Betätigungsfeld, das eine solch einschneidende Zwangsmaßnahme wie die Pfichtmitgliedschaft rechtfertigt.

Ausblick

Wenn Sie mich fragen, so wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Ich habe manchmal den Eindruck, daß die Mehrheit unserer Mitbürger sich mit all dem abfinden würde, könnte ihnen jemand garantieren, daß die großen, anstehenden Umstellungen, vor allem in der Wirtschaft, zu vermeiden sind. Gerade das ist unmöglich. Die meisten dieser Prozesse laufen ab, ob wir es wollen oder nicht. Wenn wir die Augen verschließen, werden wir uns plötzlich weit hinten anstellen müssen.

Die Urabstimmungen werden die Großkammern, nicht zuletzt dank getürkter Fragestellungen und dem Großeinsatz der Koalition (samt zugehörigen Medien) noch einmal überstehen. Der Sieg dürfte aber kein endgültiger sein. Schließlich ist das Kammerwesen ein demokartiepolitisches Problem, das alle Bürger angeht (wieso haben z.B. die Bauern eine solche, mit all den Einflußmöglichkeiten, insbes. im Gesetzwerdungsprozeß bzw. Vollziehung, nicht aber die Pensionisten?) Der übrige "geschützte" Bereich wird ebenfalls zunehmend Probleme haben, seine Privilegien zu rechtfertigen. Es könnte sein, daß durch wiederholte Diskussionen über die beschriebenen "Reibungsverluste" langsam ein Bewußtseinsänderungsprozeß in Gang kommt, der Deregulierung oder zumindest Spargesinnung erzwingt. Fürs Budget wären Milliarden zu lukrieren. Noch gilt: Ohne ständige, wirksame (externe, institutionalisierte) Kontrollen gibt es keine Sparsamkeit in staatsnahen Bürokratien.

Zum Schluß einige Fragen, die man nicht oft genug stellen kann: Haben Sie schon einmal versucht, einem Nichtösterreicher klarzumachen, wieso es in Österreich neben dem ÖGB eine Arbeiterkammer geben muß ? Weshalb gibt es neben der Wirtschaftskammer eine freiwillige Industriellenvereinigung ? Wer hat jeweils die größere Bürokratie und wer ist effizienter ? Bieten wirklich nur Interessensvertretungen mit Pflichtmitgliedschaft die Gewähr eines schlagkräftigen Lobbyings ? Umgekehrt: Sind in unserem System Bevölkerungsgruppen, die "nur" privat organisiert sind (ausgeschlossen vom Partei-Polit-Funktionärs-Machtkomplex "Sozialpartnerschaft"), nicht diskriminiert? Gibt es wirkliche Organisationsfreiheit ohne Waffengleichheit ? Wie ist das in anderen Ländern ?

Rechtsanwälte
PICCOLRUAZ & MÜLLER

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